Lehtolainen, Leena
nicht Karri. Nur das Sektglas stimmte.
»Wie geht es Sirkka und Kaitsu?«
»Mutter arbeitet noch immer in der Buchhandlung, und Kaitsu fährt zurzeit Taxi, nachdem sein voriger Arbeitgeber Konkurs gemacht hat. Und ihr wohnt also in Stockholm?«
»Ja. Du musst uns unbedingt besuchen! Wir haben eine wunderschöne Wohnung in Norrmalm.«
Das Klingeln zum dritten Akt hörte sich in meinen Ohren an wie ein Alarm. Karri fasste mich am Arm.
»Ich wollte dich schon in der ersten Pause ansprechen, hatte aber nicht den Mut dazu. Ich weiß, dass ich mich damals beschissen verhalten hab. Lauf mir nach der Vorstellung nicht weg, Katja, komm mit uns zum Essen. Wir haben im Gran Sasso einen Tisch bestellt.«
»Ich glaube nicht …«
»Ich lade dich ein, das ist das Mindeste, was ich dir schuldig bin. Immerhin hast du mich zwei Jahre über Wasser gehalten.«
Das zweite Klingeln riss mich aus meiner Erstarrung. Ich leerte mein Sektglas in einem Zug.
»Wir sitzen zwei Reihen hinter dir, du kannst uns also nicht entkommen«, sagte Karri. Sein Lächeln war offener als früher, fast ein wenig dreist, er wirkte wie ein Mann, der mit sich im Reinen war.
Als das Licht im Zuschauerraum erlosch, ließ ich den Tränen freien Lauf. Die Musik übertönte mein Schluchzen, außerdem war es ganz normal, zu weinen, als Cavaradossi sang, er habe das Leben nie zuvor so sehr geliebt. Um mich herum wischten sich viele die Augen. Ein Teil meines Ichs überlegte die ganze Zeit, was ich tun sollte. Ich konnte nicht mit Karri und Samuli ins Restaurant gehen. Ich wollte nichts essen, ich brauchte einen Eimer Schnaps.
Dass mein Make-up völlig zerlaufen war, war meine geringste Sorge. Als der Applaus einsetzte, stand ich auf, doch da ich in der Mitte der Reihe gesessen hatte, kam ich nicht gleich hinaus, und als ich es endlich geschafft hatte, standen Karri und Samuli wartend an der Tür. Wir gingen gemeinsam ins Foyer.
»Ich komme nicht mit«, sagte ich so fest, wie ich konnte. »Ich muss morgen früh aufstehen.«
»Schreibst du auch sonntags an deiner Magisterarbeit?«
»Ja.«
»Okay. Dann erlaube mir wenigstens, dich zu begleiten – wo wohnst du?«
»In Vallila. Meine Straßenbahn fährt gleich da vorne ab.«
»Wenigstens bis zur Haltestelle, Katja. Samuli, sei so lieb und geh schon mal vor. Bestell einen Dry Martini für mich und such das Essen aus, du weißt ja, was ich mag. Ich kann Katja nicht einfach gehen lassen.«
Samuli gehorchte, wie ich es früher getan hatte. Draußen wehte ein eisiger Wind, die Haare flogen mir ins Gesicht und wickelten sich um die Mantelknöpfe. Als Samuli die Straße überquerte, fasste Karri mich an den Schultern.
»Gehen wir zur nächsten Haltestelle, da sind nicht so viele Leute.«
Bei seiner Geste erstarrte ich. Wie selten hatte er mich angefasst, als wir zusammenlebten, was hätte ich damals für eine noch so kleine Berührung gegeben! Ich hätte dankbar den Arm um ihn gelegt, doch selbst das war nun unmöglich.
»Ist bei dir alles in Ordnung?«
»Ja. Ich habe sogar Kode Salama kennengelernt«, trumpfte ich auf.
»Wow! Hast du beruflich mit Rockmusik zu tun?«
»Ich unterrichte am musikwissenschaftlichen Institut.«
»Toll! Wir fliegen morgen Abend schon zurück, aber lass uns die Adressen tauschen. Du hast doch sicher E-Mail?«
Die Gründe für das Scheitern meines Lebens. Grund Nummer eins: Karri. Wollte ich wirklich zurückblicken? Würde mir das helfen?
»Nur eins, Katja: Ich hab’s versucht. Auf meine Weise habe ich dich geliebt, deshalb habe ich versucht, ein normaler Hetero zu sein, aber es ging einfach nicht. Sosehr ich es gewollt hätte.
Es lag nicht an dir. Ich war für unsere Beziehung nicht der Richtige.«
Ich fing wieder an zu weinen. Da sah ich die Straßenbahn kommen, riss mich von Karri los und rannte über die Fahrbahn, ohne mich um die hupenden Autos zu kümmern. Karri setzte mir nach, musste aber stehenbleiben, um nicht von einem Taxi überfahren zu werden. Ich erreichte die Straßenbahn in letzter Sekunde.
Karri würde mich ausfindig machen, wenn er es wirklich wollte, ich stand im Telefonbuch, und die E-Mail-Adresse konnte er beim musikwissenschaftlichen Institut erfragen. Er hätte mich schon vor ewigen Zeiten aufspüren können.
In meinem Kopf drehte sich ein und dieselbe Platte, »Es ist wieder Sheena« von Ne Luumäet. »Gerade als du dachtest, du hättest sie vergessen, liegt ein Fax vor dir, aus Kalifornien, sie schreibt, sie kommt zurück.« Ich wurde den Song
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