Lehtolainen, Leena
nicht mehr los. Zum Glück war die Kneipe an der Ecke noch geöffnet. Ich bestellte eine Cola mit der doppelten Portion Schnaps und leerte das Glas in einem Zug. Als ich gleich noch einmal dasselbe verlangte, sah mich der Kellner misstrauisch an, sagte aber nichts. Da mein Geld nur für zwei Drinks reichte, bestand keine Gefahr, zu versacken, sagte ich mir, während ich darauf wartete, dass der Alkohol zu wirken begann und den Schmerz dämpfte.
Schade, dass die Erinnerung an Dinge, die man nüchtern erlebt hatte, durch Trinken nicht auszulöschen war. Endlich spürte ich das vertraute Wärmegefühl, als hockte tief in meinem Bauch jemand, der mir versicherte, er habe mich gern und wolle dafür sorgen, dass ich mich wohlfühlte. Ich trank langsamer und sah mich in dem fast leeren Lokal um. Am Ecktisch saß ein Mann in meinem Alter, ein halbvolles Bierglas vor sich, und las. Er sah ganz passabel aus. Als er meinen Blick auffing, lächelte er.
Er hieß Janne und spendierte mir noch eine Cola mit Schuss.
Irgendwann kam ich auf die Idee, mich an Karri zu rächen, indem ich mir bewies, dass ich einen Mann haben konnte, wenn mir danach war. Außerdem war Janne nett. Er wohnte ebenfalls in der Nähe, und so beschlossen wir, in seine Wohnung zu gehen, eine Platte von Popeda zu hören und weiterzutrinken.
Am nächsten Morgen erwachte ich in einer fremden Wohnung. Mir war speiübel. Durch das Fenster sah ich den Turm der Pauluskirche, also war ich nicht weit von zu Hause weg. Eine Straßenbahn rumpelte vorbei. Ich hatte keinen Faden am Leib, doch das Kleiderbündel auf dem Fußboden kam mir bekannt vor. Meine rote Bluse und meine beste Strumpfhose.
Ich zog mich an. Da kam Janne von der Toilette.
»Na, auch schon wach?«, sagte er mit rauer Stimme. »Möchtest du ein Bier gegen den Kater?«
»Nein …«, stieß ich hervor. Dann rannte ich aufs Klo und erbrach mich. Ich wusste, dass ich auch diesmal nicht sterben würde, dabei wäre es …
SECHZEHN
Sara
… eine Tragödie sondergleichen. Mein Leben ist ein fortwährendes Drama, ich lebe in der Götterschaukel, über die Eino Leino geschrieben hat. So ergeht es allen wirklich schöpferischen und sensiblen Menschen. Das ist der Preis, den wir für unsere Begabung zahlen müssen. Auch Katja sollte endlich begreifen, dass jedes Leid seinen Sinn hat. Was einen nicht umbringt, macht einen stärker.
Als ich Katja anrief, um den Ablauf der Adventsfeier zu besprechen, erzählte sie mir von ihrer Begegnung mit Karri. Ich hatte natürlich seit langem gewusst, dass er schwul ist, denn ich hatte Karri und diesen anderen Mann einmal händchenhaltend in einem Lokal gesehen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, es Katja bei passender Gelegenheit zu erzählen, doch nun ist mir das Schicksal zuvorgekommen. Schade. Die kleine Katja wäre mit der Situation besser fertig geworden, wenn ich sie vorgewarnt hätte.
Ich war enttäuscht über die laue Reaktion auf meine Sendung.
Sirkka wurde wütend, aber das war nicht anders zu erwarten. Sie ist nun einmal nicht fähig, ihren Problemen ins Auge zu sehen, sondern weicht ihnen aus. Auf dem Pfad des geistigen Wachstums hat sie noch nicht einmal den Wegweiser erreicht. Katja bemüht sich wenigstens, macht aber immer wieder kehrt.
Ich habe mit einigen Verlagen über meine Memoiren verhandelt, doch niemand will einen Vertrag schließen, ohne vorher das Manuskript gesehen zu haben. Und das nur, weil ich unbekannt bin. Ich werde ihnen noch zeigen, was Bekanntheit bedeutet! Wenn Politikergattinnen und Skiläufer über ihre seelischen Qualen schreiben dürfen, warum nicht auch ich?
Katja sagte, sie habe mir von Karri erzählt, weil ich sicher mehr über Homosexuelle wisse als sie, immerhin hätte ich doch früher eine lesbische Beziehung gehabt. Ich habe ihr erklärt, dass ich selbstverständlich viel über alle Arten von Menschen weiß, ich habe jede Menge Lebenserfahrung, obwohl ich mich noch jung fühle. Aber das mit der lesbischen Beziehung war ein Irrtum gewesen. Da war ich einer Gehirnwäsche unterzogen worden.
Ich hatte davor reihenweise Enttäuschungen mit Männern hinter mir. Zuerst Mauri, dann Anton, dann Oskari, Oskari Niemand, Oskari Null. Nullen waren auch die anderen, denn sie wussten nicht, was gut für sie war, und verkannten meinen Wert vollkommen. Deshalb beschloss ich, als Frau bewusst zu leben und eine feministische Radikaltherapie anzufangen. Alle meine Probleme hatten ihre Wurzel in der patriarchalischen Unterdrü-
ckung. Damals
Weitere Kostenlose Bücher