Leibniz war kein Butterkeks
können sie Macht über die Menschen ausüben. Welche Funktion hätten die Religionen denn noch, wenn es jedem freistünde, selbst zu bestimmen, welche Lüste er ausleben möchte? Also stellen die Religionen lange Listen von Geboten und Verboten auf. Das, was sie nicht verbieten wollen oder können, bringen sie auf andere Weise unter ihre Kontrolle. Nicht umsonst gibt es in Deutschland so viele Bierbrauereien und Weingüter, die sich in Kirchenbesitz befinden.
Okay, dass religiöse Organisationen Lust und Rausch kontrollieren wollen, kann ich verstehen. Aber warum halten sich die »einfachen Gläubigen« daran?
Bekanntlich tun das nicht alle Gläubigen. Viele halten nach außen das Bild aufrecht, doch wenn man etwas genauer hinschaut, stellt man fest, dass sie sehr wohl Wein trinken, obwohl ihnen Wasser gepredigt wird. Allerdings will ich nicht bestreiten, dass es Menschen gibt, die sich sklavisch an die religiösen Gebots- und Verbotskataloge halten, da sie diese in hohem Maße verinnerlicht haben. Sie würden sich »unrein« fühlen, wenn sie »schmutzige Gelüste« ausleben würden. Es gibt ja nicht bloß ein »Reinheitsgebot« für Bier, die meisten Religionen haben spezielle Vorstellungen von der »Reinheit des Menschen« entwickelt. Unter der Angst, diese »Reinheit« zu »beflecken«, leiden viele Gläubige. Das drückt sich nicht nur in dem »Waschzwang« aus, den viele Leute nach dem Sex und vor dem Gebet haben, sondern beispielsweise auch in den Nichtraucherkampagnen, die seit Jahren aus den USA zu uns herüberschwappen.
Was haben denn Nichtraucherkampagnen mit religiösen Reinheitsvorstellungen zu tun?
Einigen Nichtraucheraktivisten geht es nicht bloß um die gesundheitlichen Schäden, die mit dem Rauchen objektiv verbunden sind, sondern auch um die Abwehr des »Verruchten«, das seit jeher mit dem Rauchen verknüpft ist. Das war schon Anfang des 20. Jahrhunderts so, als der »Christliche Frauenbund für Abstinenz« neben dem Alkoholverbot ein gesetzliches Tabakverbot durchsetzen wollte. Mittlerweile ist aus dem Nichtrauchertum ja fast schon selbst eine Art »Religion« geworden. Es geht da längst nicht mehr bloß um rationale Gesundheitsaufklärung. Ich muss sagen, dass die Hysterie, mit der seit einiger Zeit gegen Raucher missioniert wird, mich sogar dazu getrieben hat, im reifen Alter von 30 Jahren mit dem Rauchen anzufangen.
Du weißt aber schon, dass es völlig bescheuert ist, aus Protest zu rauchen, oder?
Natürlich! Es ist absolut kindisch, und möglicherweise werde ich es irgendwann auch einmal schwer bereuen, mit dem Rauchen angefangen zu haben. Ich weiß ja sehr wohl, dass Rauchen gesundheitsgefährdend, kostenintensiv und insofern doppelt unvernünftig ist. Aber: Egal wie unvernünftig es ist, ich habe das verdammte Recht, unvernünftig zu sein ! Und niemand sollte mir dieses Recht abstreitig machen – zumindest nicht, solange kein anderer Mensch durch meine Unvernunft gefährdet oder über Gebühr (etwa durch unfreiwilliges Passivrauchen) in Mitleidenschaft gezogen wird.
Es stört dich also gar nicht, dass du möglicherweise an den Folgen des Tabakkonsums sterben wirst?
Nun ja, wenn ich nicht an den Folgen des Tabakkonsums sterben werde, so werde ich notgedrungen an etwas anderem sterben. Wie heißt es doch so schön: »Alkohol und Nikotin / rafft die halbe Menschheit hin / doch ohne Alkohol und Rauch / stirbt die andere Hälfte auch.«
Aber möglicherweise musst du aufgrund deines Tabakkonsums schon Jahre früher sterben, als du es ohne Rauchopfer gemusst hättest!
Das ist wahr. Ich will die Gesundheitsrisiken des Tabakrauchens ja auch keineswegs bagatellisieren. Selbst wenn die Zahlen, die in der Debatte oft genannt werden, keiner seriösen Überprüfung standhalten, so ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Rauchen die Gesundheit gefährdet. Aber: Die Abwägung, ob ich möglicherweise für eine bestimmte Leidenschaft ein paar Jahre Lebenszeit opfere oder nicht, muss ich schon selbst treffen dürfen! Diese Entscheidung darf mir weder der Staat noch eine wohlmeinende Gemeinschaft von Gesundheitsaposteln abnehmen. Stell dir mal vor, der Staat würde alles reglementieren, was Gesundheitsrisiken in sich trägt: Dann müsste er nicht nur Zigaretten, sondern auch Sahnetorten, Schokoriegel, Reisen oder Risikosportarten verbieten. Unter einer solchen »Vernunftsdiktatur« möchte ich nicht leben! Das Recht auf individuelle Freiheit schließt auch das Recht ein, Unvernünftiges zu tun.
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