Leibniz war kein Butterkeks
Sosehr ich mich als Philosoph dafür engagiere, dass wir insgesamt vernünftigere Entscheidungen treffen, so entschieden wehre ich mich dagegen, das gesamte Leben einer rationalen Zensur zu unterwerfen. Denn dadurch würde vieles verloren gehen, was das Leben lebenswert macht.
Wieso?
Weil die Vernunft bei allen Vorteilen, die sie hat, leider völlig unkreativ ist! Im rationalistischen Menschenbild wurde die Vernunft kolossal überbewertet, besonders in der Philosophie Immanuel Kants, der meinte, alles solle vernünftig sein. Doch mit einem solchen Anspruch überfordert man die Vernunft, die bei genauerer Betrachtung bloß die Aufgabe einer »Kontrollbehörde« einnehmen kann: Wie der TÜV die Funktionstüchtigkeit von Autos überprüft, so überprüft die Vernunft die kreativen Lösungen, die zuvor in den unbewussten Zentren unseres Gehirns entwickelt wurden. Ist die »Vernunftspolizei« zu eifrig, also die rationale Kontrolle zu stark ausgeprägt, fällt die kreative Ausbeute sehr bescheiden aus. Denn Kreativität verlangt einen spielerischen Umgang mit den Dingen , da kann man den »großen Spielverderber Vernunft« gar nicht gebrauchen.
Ist das einer der Gründe dafür, warum Künstler zu allen Zeiten so intensiv mit Drogen experimentiert haben?
Ja, denn auf diese Weise lässt sich die rationale Phantasieblockade lockern, was dazu führt, dass man die Dinge nicht mehr analytisch , sondern intuitiv wahrnimmt. So ist man in der Lage, Gedankensprünge zuzulassen und Ideen zu verfolgen, die der phantasielosen, rationalen Vernunft als völlig aberwitzig erscheinen würden. Durch das Ausschalten des »rationalen Zensors« können neue Verknüpfungen im Hirn hergestellt werden, die kreative Lösungen erlauben, auf die man mit dem analytisch verengten Tunnelblick der Vernunft nie gekommen wäre.
Kreative Lösungen sind also eher auf unbewusste Hirnvorgänge als auf bewusste, vernünftige Überlegungen zurückzuführen?
Zweifellos. Wie ich schon sagte, verfügt unser Bewusstsein und damit der Sitz unserer »rationalen Kontrollbehörde« nur über einen klitzekleinen Arbeitsspeicher von etwa 50 Bits, während der Rest unseres Gehirns pro Sekunde viele Millionen Bits verarbeiten kann und muss. Daher wäre es unklug, würden wir unserem 50-Bit-Verstand die alleinige Entscheidungsgewalt zusprechen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Spontanentscheidungen »aus dem Bauch heraus« in der Regel klüger ausfallen als Entscheidungen, die allzu sehr auf rationalen Überlegungen basieren.
Weil derjenige, der »aus dem Bauch« entscheidet, auf einen größeren Arbeitsspeicher zurückgreift?
Ja, denn so können bei einer Entscheidung mehr Faktoren berücksichtigt werden. Wer zu »verkopft«, also mit zu großer Berücksichtigung seines kleinen 50-Bit-Verstandes, an die Dinge herangeht, beraubt sich der Kraft der Intuition.
Also sollten wir unserem Bauchgefühl, unserer Intuition, einen größeren Spielraum geben?
Richtig! Gerade wenn wir vor schwierigeren Problemen stehen, ist es vernünftig, mal abzuschalten, sich treiben zu lassen, die rationale Verkrampfung zu lösen. Die besten Lösungen kommen in der Regel dann, wenn wir die Probleme nicht zu sehr fokussieren. Wenn ich beispielsweise beim Schreiben eines Textes einen Hänger habe und nicht weiß, wie es weitergehen soll, dann stehe ich auf und laufe wie ein Irrer hin und her.
Das sieht übrigens ziemlich dämlich aus: Wie ein Tiger im Käfig.
Ich kann mir vorstellen, dass das blöde wirkt. Aber dieses Hin- und Hergehen führt dazu, dass meine Gedanken abschweifen, ich denke an dieses und jenes, und plötzlich, ich kann gar nicht beschreiben, wie das genau geschieht, habe ich vor Augen, wie es im Text weitergehen könnte. Manchmal lösen sich solche Probleme auch im Schlaf. Es kommt immer wieder vor, dass ich abends mit einem ungelösten Problem ins Bett gehe – und morgens ist dann, wie aus heiterem Himmel, der rettende Einfall da.
Das heißt, dass das Gehirn auch nachts unbewusst an den Problemen weiterarbeitet?
Das kennst du doch bestimmt auch: Abends fällt dir der Name von Film X oder Schauspielerin Y partout nicht ein, doch dann wachst du morgens auf und der Name ist wieder da. Thomas Edison hat dieses Phänomen übrigens in besonderer Weise genutzt: Er konstruierte sich einen »Erfinderstuhl«, in dem er tagsüber einnickte, der aber so beschaffen war, dass er im Moment der ersten Tiefenentspannung wieder aufwachte. Dank dieser kreativen Schlafpausen,
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