Leiche in Sicht
getrunken habe.
Charlotte brach während ihrer Aussage
immer wieder in Schluchzen aus, aber am meisten bewegte Mr. Pringle doch das
Auftreten seines Neffen. Als er beschrieb, wie er, zusammen mit Patrick,
Elizabeths zerschundenen Körper zurück in den Hafen gebracht hatte, lag ein
kaum zu unterdrückendes Zittern in seiner Stimme. Im Gerichtssaal war es
während seiner Aussage totenstill.
Der Coroner wandte sich wieder dem
Histopathologen zu. «In Ihrem Bericht steht, Sie hätten keine Anzeichen dafür
gefunden, daß die Verstorbene vor Eintritt des Todes irgendeiner Art von
Gewaltanwendung ausgesetzt gewesen wäre.»
«Ja, das heißt, abgesehen von ein paar
leichten Abschürfungen an den Händen, die kann sie sich jedoch bereits etliche
Stunden zuvor zugezogen haben.»
Der Coroner beugte sich vor. «Es deutet
also nichts darauf hin, daß die Verstorbene angegriffen wurde oder sich gegen
einen Angriff zur Wehr gesetzt hat?»
«Nein... Sir.» Dem Coroner war das
Zögern in seiner Stimme ebensowenig entgangen wie dem Publikum.
«Aber?» fragte er nach.
«Es ist mir noch aufgefallen, daß die
Tote während ihres Sturzes offenbar keinerlei Versuch unternommen hat, diesen
abzumildern.» Und das war doch wirklich merkwürdig, fand Mr. Pringle.
Der Anwalt, der Elizabeths
Vermögensverwalter vertrat, hatte keine weiteren Fragen, und so begann der
Coroner mit der abschließenden Zusammenfassung. Als Erklärung für eine
möglicherweise bei der Verstorbenen vorhanden gewesene Depression kam ein
kurzer Hinweis auf den nur wenige Monate zurückliegenden Tod der Eltern, was
die Presse sogleich veranlaßte, in den Schlagzeilen der Mittagsausgabe die
Frage zu stellen: «Liegt ein Fluch auf der Familie Hurst?» Es folgten dann
Hinweise auf die schädliche Wirkung der Droge Alkohol, insbesondere bei jungen
Frauen, und ein kurzes Resümee des medizinischen Befundes, der keinerlei
Hinweise gebe, daß Elizabeth Hursts Tod auf Fremdeinwirkung zurückgehe. Ganz
zum Schluß kam dann der übliche Dank an die ausländische, in diesem Fall die
griechische Polizei, die sich sehr kooperativ gezeigt habe, und danach hatte
der Coroner noch ein Wort des Mitgefühls übrig für diejenigen, die alles in
ihren Kräften Stehende getan hatten, um Elizabeth Hurst zu helfen, aber ihren vermutlich freiwilligen Todessprung dann doch nicht hatten verhindern können. Die Betonung
lag auf dem Wort «vermutlich», und so blieb dem Coroner auch nichts anderes
übrig, als die Verhandlung mit einem open verdict zu schließen: Die
Todesursache sei nicht mit letzter Sicherheit festzustellen. Mr. Pringle
spürte, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel.
«Also, ich fand das Ergebnis dieser
Verhandlung sehr unbefriedigend», beklagte sich Matthew. «Warum wurde Gill mit
keinem Wort erwähnt? Ungeachtet dessen, was der Coroner in seinem Schlußwort
gesagt hat, wird doch jetzt jeder mir die Schuld geben, weil ich Elizabeths Tod
nicht verhindert habe.»
«Aber das ist doch Unsinn, Matthew»,
sagte Mr. Fairchild. «Niemand wird dir Vorwürfe machen, warum sollte man auch?
Es ist doch deutlich gesagt worden, daß du alles in deinen Kräften Stehende
versucht hast.» Er wandte sich zu Emma und legte ihr zärtlich den Arm um die
Schultern. «Ich war heute morgen sehr stolz auf dich, mein Mädchen.» Mr.
Pringle blickte hinüber zu Charlotte und glaubte in ihren Augen so etwas wie
Eifersucht aufflackern zu sehen.
«Gill war da! Das habe ich mir nicht
nur eingebildet!» mischte sie sich auch gleich ein.
«Aber das hat doch auch gar keiner
behauptet», beschwichtigte sie ihre Mutter und tätschelte ihr die Hand.
«Aber selbst wenn er sich Elizabeth
genähert hätte», gab Mr. Pringle zu bedenken, «so bliebe doch die Tatsache, daß
es offenbar nicht zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen ihnen
gekommen ist.»
«Du hast doch aber jetzt nicht etwa
deine Meinung geändert, Onkel, oder?» fragte Matthew eindringlich. «Oder gehörst
du jetzt auch zu denen, die der Meinung sind, daß Elizabeth Selbstmord verübt
habe?»
«Nein.» Die Anwesenden hörten ihm
aufmerksam zu. Nach dem Ende der Verhandlung waren sie alle zusammen in dieses
Café gegangen. Man hatte zwei Tische zusammengeschoben, am einen Ende saßen die
Fairchilds, am anderen Enid und Matthew. Und Mr. Pringle saß genau dazwischen.
Enid, die noch nie hatte ruhig zuhören
können, wandte sich ihm jetzt heftig zu: «Du wirst doch nicht etwa hingehen und
behaupten, daß Elizabeth sich wegen Matthew
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