Leiche in Sicht
daran.» Mr. Pringle nickte.
«Es ist schon sehr spät, Matthew»,
sagte er leise. «Wenn du willst, kannst du hierbleiben.»
«Nein, vielen Dank, ich werde gleich
aufbrechen.» Er gähnte. «Meinst du, ich sollte jetzt noch Charlotte anrufen?»
«Ich glaube, das hat auch Zeit bis
morgen. Sie sagte, sie würde nicht zu Hause übernachten, sondern bei einer
Freundin. Ich denke übrigens, du würdest ihr einen großen Dienst erweisen, wenn
du sie überreden könntest, morgen doch nach Hause zurückzukehren. Sie wirkte
sehr verloren, als sie hier wegging.»
Matthew betrachtete die Telefonnummer,
die Charlotte auf einem Zettel für ihn hinterlassen hatte. «Sie ist bei ihrer
Freundin Susie. Dahin weicht sie immer aus, wenn sie zu Hause Ärger hat...
Okay, ich werde mein möglichstes tun.» Er klang genervt.
«Ihre Anrufe sind vermutlich nichts
weiter als ein Anzeichen dafür, daß sie um dich besorgt ist, Matthew. Charlotte
möchte dir beistehen, genau wie Emma.» Matthew blickte ihn einen Moment lang
verständnislos an.
«Ah ja, vielleicht hast du recht»,
sagte er dann. «Und wer weiß, vielleicht finden wir ja wieder zusammen... eines
Tages. Wie du schon sagtest, sie hat sich verändert... wir alle haben uns
verändert.»
Mr. Pringle hielt ihm die Haustür auf.
«Bis dann — vor Gericht!» rief Matthew. Mr. Pringle nickte und schloß die Tür.
Kapitel 19
«Ist Tod durch Ersticken mit Blutungen
im Herzbeutel vereinbar?»
«Ja.»
«Aber das Ersticken war die eigentliche
Todesursache?»
«Meiner Ansicht nach ja.»
«Und die Verletzungen am Schädel und an
den Gliedmaßen?»
«Erfolgten nach Eintritt des Todes und
wurden dadurch, daß die Leiche den Wellen ausgesetzt war, erheblich
verschlimmert.» Eine diskrete Umschreibung dafür, daß Elizabeths Leiche wieder
und wieder gegen die Felsen geworfen worden war, dachte Mr. Pringle. Der Beamte
und der Histopathologe hielten in ihrem Dialog inne. Mr. Pringle schluckte. Er
hoffte, daß das jetzt alles gewesen war. Die Frau neben ihm hatte die ganze
Zeit über — den Oberkörper vorgebeugt, den Mund halb offen — gierig gelauscht.
Jetzt schien sie enttäuscht.
Der Morgen hatte damit begonnen, daß
der Coroner das Gericht von seiner Entscheidung in Kenntnis gesetzt hatte, eine
Leichenschau anzuberaumen, da die Ursache für den Tod der Verstorbenen nicht
eindeutig feststehe. Nach einem Blick auf den vollbesetzten Saal hielt Mr.
Pringle diese Entscheidung für sehr vernünftig. Wenn man der Meute hier ihr
Schauspiel versagt hätte, wäre es womöglich sonst noch zu einem Aufstand
gekommen. Nach der ersten halben Stunde wurde ihm das Sitzen auf der harten Bank
ziemlich zur Qual, aber diese Unbequemlichkeit mochte dem Anlaß ganz angemessen
sein, dachte er philosophisch.
Doch während die Verhandlung
voranschritt, wurde ihm aus einem anderen Grund zunehmend unbehaglich. Das
Bild, das hier von den Ereignissen gezeichnet wurde, erschien ihm verzerrt. Man
verlas einen Auszug aus Patricks Bericht: Das gemeinsame Abendessen im
Restaurant von Levkas war in einem Satz zusammengefaßt, so daß der Eindruck
entstehen mußte, daß Elizabeth beinahe unmittelbar nach Beginn des Essens
schlecht geworden wäre. Selbst wenn man zugestand, daß sie vielleicht wie
Cassio in Shakespeares Othello nur «einen sehr schwachen und unseligen
Kopf zum Trinken» gehabt haben mochte — so schnell war es nun doch nicht
gegangen.
«Und was war die Ursache für das
Ersticken, Dr. Morgan?»
«Anzeichen für äußere Druckeinwirkung
lagen nicht vor. In der Speiseröhre fand sich Erbrochenes, das jedoch meiner
Ansicht nach nicht ausgereicht hätte...»
«Aber wenn man nun den emotionalen
Ausnahmezustand, in dem sich Miss Hurst befand, mit in Betracht zieht...?»
«Die Zufuhr von Luft war durch das
Erbrochene nicht vollständig blockiert.»
«Ich verstehe.» Durch den Saal ging ein
Raunen.
Ziemlich früh im Verlauf der
Verhandlung war Emma als Zeugin aufgerufen und zu der Erklärung, die sie
gegenüber der Polizei abgegeben hatte, befragt worden; wie alle Zeugen hatte
sie ganz vorn auf der ersten Bank Platz genommen, mit dem Rücken zum Saal, das
Gesicht dem Coroner zugewandt. Mr. Pringle hatte Mühe gehabt, ihre Antworten zu
verstehen, knappe Antworten, in denen es darum ging zu beschreiben, wie sie an
jenem Abend in Parga versucht hatte, die wütende Elizabeth wieder zur Vernunft
zu bringen. Das einzige Mal, daß Emma zögerte, war, als man sie fragte, wieviel
Elizabeth
Weitere Kostenlose Bücher