Leiche in Sicht
Montag um zehn soll die Obduktion sein.
Sie haben mir schon gesagt, was vermutlich dabei herauskommen wird. Aber ich
glaube einfach nicht, daß er Selbstmord begangen hat.»
Ich auch nicht, dachte Mr. Pringle. «Wo
genau hat man ihn gefunden?» wollte er wissen.
«In einem unterirdischen Abwasserkanal.
Sie wollten eine neue Gasleitung verlegen... Es hat in den letzten Tagen viel
geregnet hier, der Kanal war voller Wasser. Und außerdem gibt es dort Ratten...
Unmengen von Ratten... Sie haben mich vorher gewarnt, daß er schlimm aussehen
würde.» Mr. Pringle goß ihnen beiden noch etwas Cognac nach.
«Wenn sie nicht die Leitung hätten
verlegen wollen, wäre er vielleicht nie gefunden worden — oder erst nach
Jahren.»
«Haben sich Leute gemeldet, die irgend
etwas gesehen haben?» Sie schüttelte den Kopf.
«Um den Auspuff herum haben sie noch
Reste von einem Gummischlauch entdeckt, und gleich neben dem Wagen lag ein
Paraffinkanister, der genauso aussah wie die in Mr. Millers Laden.»
Mr. Pringle erkundigte sich, ob Maureen
allein zur Bekanntgabe der Obduktion gehen würde, doch sie schüttelte den Kopf.
Eine frühere Nachbarin würde mitgehen. Als sie für einen Moment den Raum
verließ, schob er schnell ein paar Zehn-Pfund-Noten zwischen die Bücher auf dem
Kaminsims. Sie mußte ihm versprechen, daß sie vor dem Zubettgehen noch eine
Tasse heißen Tee trinken würde, dann verabschiedete er sich. Mehr konnte er im
Moment nicht für sie tun. Wenn der Gerichtsmediziner nicht irgend etwas fände,
das dagegen sprach, so würde bei der Verhandlung unweigerlich auf Selbstmord
erkannt werden, dachte er bitter.
Schon von weitem sah er den Mini, der
vor seiner Haustür parkte, und beschleunigte seine Schritte. Gut, daß Matthew
gekommen war, es gab eine Menge zu besprechen. Doch dann entdeckte er, daß der
Mini leer war, weit und breit war niemand zu sehen. Kopfschüttelnd schloß er
die Haustür auf. Im Flur trat ihm Enid entgegen.
«Wie bist du hier hereingekommen?» Er
war schockiert, daß es offenbar so leicht war, bei ihm einzudringen.
«Ich habe deiner Nachbarin gesagt, daß
ich deine Schwester bin. Da hat sie mir natürlich aufgeschlossen.» Er hatte der
Frau von nebenan vor mehreren Jahren einen Schlüssel gegeben, mit der Bitte,
daß sie, falls sie eines Tages bemerken sollte, daß seine Vorhänge zugezogen
blieben und also zu vermuten war, daß er nicht mehr unter den Lebenden weilte,
die Polizei verständigen und ihnen den Schlüssel aushändigen sollte. Ihn dazu
zu benutzen, Enid hereinzulassen, empfand er als glatten Vertrauensbruch.
Plötzlich schoß ihm die Frage durch den Kopf, ob Mavis womöglich da sei, und er
blickte sich unbehaglich um. Enid erriet sofort den Grund. «Mach dir keine
Sorgen», sagte sie säuerlich, «deine... deine Freundin ist nicht da.» Zum
erstenmal, seit er sie kannte, betete Mr. Pringle, daß sie noch eine Weile
fernbleiben möge...
«Ich verstehe nicht recht, was dich zu
diesem Besuch veranlaßt hat, Enid...»
«Daß du den Nerv hast, so mit mir zu
reden!»
«Wie bitte?»
«Du verstehst es wirklich, anderen
Menschen das Leben schwerzumachen. Du redest mit wildfremden Leuten über Dinge,
die dich nichts angehen — Matthew ist schon ganz fertig deinetwegen. Du hast
uns nicht geholfen, sondern im Gegenteil alles nur schlimmer gemacht!»
«Wovon redest du?»
«Warst du etwa nicht noch ein zweites
Mal bei einem der Vermögensverwalter von Elizabeth Hurst?»
«Doch. Weil man es wünschte. Und
außerdem hatte ich selbst noch einige Fragen.»
«Und warum hast du dort behauptet, daß
sie ermordet worden sei?»
«Das habe ich nicht gesagt. Ich habe
nur darauf hingewiesen, daß tote Frauen gewöhnlich nicht von Klippen springen.»
Enid kam, die Hände in die Seiten gestützt, bedrohlich näher.
«Genau. Matthew hat mir erzählt, daß du
von nichts anderem mehr redest.»
«Das stimmt.»
«Das Mädchen ist gestürzt, weil sie
nicht aufgepaßt hat, wo sie hingetreten ist. Sie war ja wohl an dem Abend
ziemlich außer sich. Matthew hat mir gesagt, daß sie sich einfach nicht hat
beruhigen lassen. In ihrer Erregung ist sie dann losgelaufen, in der Dunkelheit
gestolpert und über die Felsen gestürzt. Alle sind sich einig, daß es so — oder
so ähnlich gewesen sein muß, du bist der einzige, der anderer Meinung ist.
Während des Sturzes ist Elizabeth mehrere Male mit ihrem Körper auf die Felsen
geprallt, den Kopf voran. Ihr Schädel war zertrümmert, ihr Gesicht
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