Leiche in Sicht
eine
formlose Masse. Matthew sagt, daß durch die Wucht des Aufpralls das rechte Auge
aus seiner Höhle gerissen worden sei — man habe ihr bis ins Gehirn sehen
können. Natürlich war sie da tot, als sie unten im Wasser ankam — du wärst auch
tot gewesen, mit solchen Verletzungen!» Mr. Pringle war so wütend, daß er sich
am Küchentisch festhalten mußte, um nicht auf sie loszugehen.
«Wenn also überhaupt jemand schuld hat
an ihrem Tod», fuhr sie fort, «dann der Mann, der Charlotte aufgelauert hat. Er
hat wahrscheinlich auch Elizabeth angegriffen. Das zu beweisen wäre
deine Aufgabe gewesen — nicht irgendwelche Andeutungen unter die Leute zu
streuen. Aber was hast du erreicht? Nichts!»
«Alles, was du da gesagt hast, Enid,
sind reine Mutmaßungen. Du warst schließlich nicht dabei.»
«Du auch nicht. Du hast, als es
geschah, betrunken in deiner Koje gelegen. Ich habe inzwischen die ganze
Geschichte gehört. Auch, daß sie dich zurücktragen mußten! Und heute hast du
schon wieder getrunken! Versuche nur nicht, es zu leugnen, ich rieche deine
Fahne. Ich finde es einfach widerwärtig — in deinem Alter und bei deiner
Herkunft.» Sie machte ihn völlig fertig. Noch ein paar Minuten und er war ein
Nichts.
«Enid, ich muß energisch
protestieren...»
«Halte den Mund und höre mir gut zu.
Was passiert ist, ist schrecklich, aber nun ewig darüber zu lamentieren bringt
Elizabeth auch nicht zurück. Matthew war gerade dabei, sich von dem Schock, den
ihr Tod bei ihm ausgelöst hat, wieder etwas zu erholen, als du anfingst, mit
deinen Behauptungen Unruhe zu stiften. Ich hatte immer gedacht, du wolltest ihm helfen. Charlotte ist am Rande eines Nervenzusammenbruchs — deinetwegen.»
«Wie geht es ihr denn jetzt?» Abgesehen
von dem Wunsch, Enid abzulenken, interessierte es ihn tatsächlich, weil er sich
bewußt war, daß seine Bemerkung vor ein paar Tagen zu einem Teil schuld sein
mochte an ihrem Zustand.
«Sie ist natürlich noch bedrückt wegen
der Ereignisse in Griechenland, aber ansonsten geht es ihr gut. Matthew und sie
verstehen sich glänzend. Wenn mich nicht alles täuscht, so werden wohl für die
beiden bald die Hochzeitsglocken läuten.»
Eine solche sentimentale Phrase aus dem
Mund der vierschrötigen Enid war beinahe obszön.
«So schnell?» Er war ehrlich
schockiert. Seine Schwester betrachtete ihn mit einem mitleidigen Lächeln.
«Wenn in deinem Leben nichts mehr
passiert, heißt das ja noch lange nicht, daß nicht andere Leute eine Menge
Pläne haben. George und mir hat es sehr leid getan zu hören, daß Elizabeth
gestorben ist. Als ihr Mann hätte Matthew wunderbare Chancen für sein
Fortkommen gehabt. Aber George sagt, daß Mr. Fairchild auch sehr einflußreich
in der City ist. Deshalb sind wir auch mit der Heirat einverstanden.» Mr.
Pringle spürte Übelkeit in sich hochsteigen.
«Ich möchte, daß du jetzt mein Haus
verläßt, Enid, und bitte komm nie wieder, hast du verstanden?» Enid griff nach
ihrer klobigen Handtasche.
«Ich kann dir nicht verbieten, weiter
in der Geschichte herumzuwühlen, und ich kann auch Matthew nicht daran hindern,
wieder hierherzukommen...»
«Das wäre ja noch schöner!»
«Aber ich wünsche nicht, daß du
weiterhin Unruhe stiftest. Wenn du nicht helfen kannst oder willst, dann halte
zumindest den Mund.»
«Raus!»
Nachdem sie gegangen war, blieb er noch
mehrere Minuten am Küchentisch sitzen. Er hatte einfach nicht die Kraft
aufzustehen. Morgen würde er als erstes von seiner Nachbarin den Schlüssel
zurückverlangen. Sollte seine Leiche doch ruhig verwesen und die
Grundstückspreise dieser Gegend in den Keller jagen. Was scherte es ihn... Dann
fiel ihm ein, daß er noch immer nicht mit dem Pathologen gesprochen hatte.
Kapitel 26
Einen Termin zu bekommen war schwerer,
als er gedacht hatte. Abgesehen von ihrem anfänglichen Mißtrauen einem
Unbekannten gegenüber, der so mir nichts, dir nichts im gerichtsmedizinischen
Institut anrief und den Pathologen sprechen wollte, hatte die Sekretärin ganz
einfach Schwierigkeiten, ihren Chef ausfindig zu machen. Dr. Morgan war zur
Zeit in Belfast, um als Sachverständiger vor Gericht aufzutreten, und
anschließend wollte er, so hatte sie jedenfalls gehört, ein paar Tage Urlaub
machen. Sie sagte Mr. Pringle zu, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, aber
versprechen könne sie nichts. Mit dieser Auskunft mußte er sich wohl oder übel
zufriedengeben.
Am Tag nach der Obduktion erhielt er
einen Anruf von
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