Leiche in Sicht
daß sie
hellsehen könne, doch dann wandte sie sich plötzlich zu Mr. Pringle und sagte:
«Ach, da fällt mir gerade ein... Mrs. Harper sagte mir, daß sie der Polizei
ihre neue Adresse habe geben müssen.»
Es kostete Mr. Pringle mehrere Stunden,
den diensttuenden Sergeant, eine weibliche Kriminalbeamtin, sowie den
Inspector, der Maureen die Nachricht überbracht hatte, davon zu überzeugen, daß
er lediglich vorhabe, der Witwe sein Beileid auszusprechen. Am späten
Nachmittag konnte er sich endlich auf den Weg machen.
Es war eine sehr häßliche Gegend.
Jedesmal, wenn über ihm im Tiefflug ein Düsenjäger vorbeidonnerte, zuckte er
zusammen.
«Ja?» Die Sprechanlage dämpfte ihre
Stimme.
«G. D. H. Pringle.»
Kaum hatte sie ihm die Tür aufgemacht,
trat sie schon wieder in den dunklen Flur zurück. Sie bewegte sich wie in
Trance.
«Darf ich hereinkommen?»
Nachdem sie die Tür hinter ihm
geschlossen hatte, brach es aus ihr heraus: «Ich mußte hingehen und ihn
identifizieren. Er hatte schon so lange da draußen gelegen... Er ist
verbrannt.» Er konnte ihren Schmerz fast körperlich spüren.
«Können wir... Darf ich mich setzen?»
Die Straßengeräusche, die von draußen
hereindrangen, störten ihn kaum mehr, da sie in dem ohrenbetäubenden Lärm der
Jets fast untergingen. Wie hielt Maureen das bloß aus? Überall standen Kisten
herum, der kleine Raum roch muffig und ungelüftet. War es in ihrer alten
Wohnung gedrängt voll gewesen, so war es hier leer und kahl. Sie schien seine
Gedanken zu erraten.
«Ich kann mich noch nicht daran
gewöhnen, daß ich hier wohnen soll... Ich denke immer, daß sich noch etwas
anderes ergibt. Aber ich weiß natürlich, daß das Unsinn ist. Die Hoffnung auf
etwas anderes... Damit ist es ja nun vorbei.» Ihre Stimme klang monoton, ihr
Gesicht war vor Schmerz wie erstarrt — Mr. Pringle wäre es fast lieber gewesen,
sie hätte wieder geweint. Sie hatte sich die Haare hinter die Ohren
zurückgestrichen und mit zwei Spangen festgesteckt, ihre billige
Acryl-Strickjacke war zerknautscht und schien um etliche Nummern zu groß. Sie
bemerkte seinen Blick und sagte in einer Art verzweifelten Trotzes: «Ich weiß,
ich bin abgemagert, aber ich kann es nicht ändern. Ich mag eben einfach nicht
kochen.»
«Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie
mit mir darüber reden.» Sie nickte. «Die Polizei hat mich gefragt, ob Roge
irgendwelche besonderen Kennzeichen hätte. Ich habe erst gar nicht begriffen,
warum sie das wissen wollten... Aber er hatte keine, und deshalb habe ich mir
sein Gesicht ansehen müssen. O Gott!» Sie begann am ganzen Körper zu zittern.
Mr. Pringle betrachtete sie angstvoll.
Er mußte etwas tun! Von der anderen Straßenseite her leuchtete eine Neonreklame
ins Zimmer: ein puppenähnliches Gesicht mit einem weißen Käppi darüber, das für
ein Café warb. «Wissen Sie was», sagte er, «Sie setzen jetzt Wasser auf — den
Kessel haben Sie ja wahrscheinlich schon ausgepackt — , und ich besorge uns
drüben in dem Café etwas zu essen. Mal sehen, ob ich die Speisekarte von hier
aus lesen kann.» Mit zusammengekniffenen Augen spähte er hinüber: «Beefburger,
Hamburger, Chick-o-Burger — du liebe Güte, was ist das denn?»
«Ich habe keinen Appetit.»
«Na, warten Sie doch erst mal ab. Sie
erlauben doch sicher, daß ich mir auch etwas mitbringe? Ich habe nämlich
unheimlichen Hunger. Und jetzt versuchen Sie, ob Sie Teller und Besteck finden
— ich bin gleich wieder da.» Rasch schloß er hinter sich die Tür. Hoffentlich
hatte sie, wenn er zurückkam, zu zittern aufgehört.
Er lief zuerst zu einem Getränkeladen,
dann zu dem Café, wo er die etwas verschlafene Bedienung auf Trab brachte.
«Zwei Menüs bitte, extra große Portionen, und schnell!» In der Ecke entdeckte
er einen Kaffeeautomaten. «Und zwei große Becher schwarzen Kaffee bitte.»
«Wir haben nur normale Becher.»
«Dann eben vier. Aber bitte heiß.»
Triumphierend kehrte er zurück. Maureen war es inzwischen gelungen, einen
Teller und Besteck zu finden.
«Also, ich habe wirklich keinen
Appetit», sagte sie matt, als sie sah, was er mitgebracht hatte.
«Aber Sie können doch wenigstens etwas
probieren — nur einen Bissen. Ich kann übrigens gleich aus der Schachtel essen.
Hier, nehmen Sie sich von den Pommes frites. Und jetzt halten Sie mir mal Ihren
Kaffeebecher hin.» Er goß reichlich Cognac hinein. Nach ein paar Minuten
röteten sich ihre Wangen, auch ihre Stimme klang weniger brüchig.
«Am
Weitere Kostenlose Bücher