Leiche - oben ohne
dichtem Schleier, der ihr Gesicht
völlig verbarg, und stolperte ein paarmal auf dem Bürgersteig, bis sie am Wagen
ankam. Ich drückte die Daumen, daß eventuelle Beobachter zu der Ansicht kamen,
der Schmerz habe sie überwältigt — und ich war heilfroh, daß Walts Beine sich
halbwegs als Mädchenbeine eigneten, wenn er auch mit den hohen Absätzen nicht
zurechtkam.
Dann warf der Chauffeur den
Schlag zu, klemmte sich hinters Steuer, und die Limousine setzte sich langsam
in Bewegung. Ich sah auf die Uhr, und nachdem eine Minute verstrichen war,
stieß ich mit meinem Wagen aus der Parklücke. Als ich vor dem Apartmenthaus
hielt, kam ein brünettes Mädchen mit einem Koffer herausgerannt.
Ich griff nach hinten, um ihr
die Tür zu öffnen — und da sah ich, daß Lucia eine Begleiterin hatte. Ehe ich
noch reagieren konnte, saßen beide samt Koffern und sonstigem Gepäck hinter
mir.
»Nun sitzen Sie doch nicht so
herum!« sagte Lucia scharf. »Fahren Sie los!«
»Ich fahre ja schon«, knurrte
ich, und dann vernahm ich ein paar halberstickte Schreie, als ich den Wagen mit
einem mustergültigen Grand-Prix-Start vorpreschen ließ.
Ich fuhr mit den Augen fast
dauernd auf den Rückspiegel gerichtet, und das erforderte meine ganze
Aufmerksamkeit. Erst als wir die Triboro Bridge überquert hatten, war ich ganz
sicher, daß uns niemand folgte. Ich brannte mir eine Zigarette an und atmete
auf — bis mir wieder einfiel, daß ich einen ungebetenen Gast hinter mir sitzen
hatte.
»Also, wer ist Ihre Freundin,
Borman?« fragte ich.
»Roberta Carrol«, gab Lucia
freundlich Auskunft. »Roberta, darf ich dir Danny Boyd vorstellen?«
»Tag«, sagte eine rauchige
Stimme irgendwo hinter meinem Kopf.
»Ich will ja niemand auf die
Nerven gehen«, sagte ich, »aber bei meinem Vertrag mit Lansing war keine Rede
von einer Roberta Carrol.«
»Ich fürchte, in all der
Aufregung hat Onkel Jerome das vergessen«, sagte Lucia gelassen. »Aber Sie
haben doch nicht ernsthaft geglaubt, daß er mich zwei Wochen oder länger mit
einem völlig fremden Mann verreisen läßt, ohne mir eine Anstandsdame
mitzugeben?«
»Eine Anstandsdame?« murmelte
ich. »Wer, zum Donnerwetter, braucht heute noch eine Anstandsdame?«
»Lucia braucht eine«,
antwortete die rauchige Stimme.
Während der nächsten zehn
Minuten sprach ich kein Wort, und mit jeder Meile schwanden meine Träume von
schwarzer Spitze und so weiter.
»Wir sind ja auf Long Island!«
sagte Lucia plötzlich, und zwar mit einer Stimme, wie Kolumbus’ Ausguck sie
gehabt haben mochte, als er seinem Chef zurief, direkt voraus sei die Freiheitsstatue
zu sehen.
»Ganz recht«, pflichtete ich
bei.
»Aber was sollen wir denn auf
Long Island?« erkundigte sie sich. »Ich dachte, wir seien mittlerweile längst
auf der Autobahn.«
»Untertauchen ist keine Frage
der Entfernung«, erklärte ich von oben herab. »Sie könnten geradewegs nach
Kalifornien fahren — und dort Ihre Gegner als Empfangskomitee vorfinden. Wir
haben doch Sommer, nicht wahr? Und wohin fahren sehr viele Leute im Sommer? Sie
mieten ein Haus am Strand von Long Island. Und deshalb ist dort alles überschwemmt
von fremden Gesichtern, an die sich kein Mensch erinnert. Die Einheimischen
wollen weiter nichts, als an den Feriengästen einen Haufen Geld verdienen — und
ihre Gesichter schnell wieder vergessen. Wir haben Geld, und wir möchten, daß
man unsere Gesichter schnell wieder vergißt, stimmt’s?«
»Ich glaube, ja«, sagte sie
widerstrebend. »Aber ich hatte mich drauf gefreut, mal nach Montana oder Nevada
oder in eine andere romantische Gegend zu kommen.«
»Na ja, wenn Ihr Onkel Joe das
nächstemal umgebracht wird, dann können Sie die Sache rechtzeitig und besser
organisieren«, schnauzte ich.
Dies setzte der Unterhaltung
endgültig ein Ende, und die nächsten dreißig Meilen fuhr ich, ohne ein Wort zu
reden, derweil die beiden Damen im Fond so gedämpft miteinander flüsterten, daß
ich nichts davon verstand. Ich hielt vor dem ersten Vermietungsbüro, das ich
hinter Northport zu Gesicht bekam, stellte den Motor ab und wandte mich zu
meinen Passagieren um. Von Lucia Borman erntete ich nur eiskalte Blicke,
weshalb ich mich ihrer Begleiterin widmete — und an ihr blieben meine Augen
hängen wie festgeklebt.
Sie hatte lohfarbenes Haar und
ebensolche Augen, ihre Züge waren schmal und ein bißchen kantig, was ihnen
einen männerhungrigen Ausdruck verlieh. Ihr Mund stand halb offen, die
ausgesprochen sinnliche
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