Leiche - oben ohne
mir, daß ein
mißtrauischer Onkel schon bemerken würde, wie zerkrumpelt das schwarze
Spitzenkleid war — und daraus natürlich die falschen Schlüsse ziehen mußte.
»Das Dumme ist nur«, sagte sie,
»daß ich noch immer nicht weiß, in welchem Apartment Onkel Joe denn nun wohnt.«
»Wissen Sie überhaupt, daß es
hier im Haus ist?« forschte ich.
»Natürlich weiß ich das«,
erwiderte sie gekränkt. »Wofür halten Sie mich?«
»Für eine Fee in schwarzer
Spitze«, antwortete ich, ohne nachzudenken. »Ähem, ich meine, mein Apartment
hat die Nummer 12 B — wenn Ihnen das hilft?«
»Es bringt mich auf eine Idee.«
Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich bin überzeugt, Onkel Joe hat 12 B
gesagt, aber das kann ja nicht sein, oder?«
»Da ich Ihren Onkel Joe nicht
kenne«, erklärte ich freundlich, »kann ich auch nicht wissen, was er gesagt
hat, oder?«
»Oh, halten Sie den Mund!« Sie
konzentrierte sich wieder, fuhr sich mit der Zunge über die reizende Schmollschnute
und brachte meine Phantasie dazu, Überstunden zu machen — was vielleicht an
diesem Orangensaft liegen mochte.
»Wie lange wohnt er schon
hier?«
»Ein paar Monate«, erwiderte
sie abwesend. »Er...«
Sie schlug sich sanft an die
Stirn. »Ich muß neuerdings an Gedächtnisschwund leiden! Das kommt bestimmt von
all den jungfräulichen Gebeten, die Sie mir eingetrichtert haben! Er hat mir ja
einen Schlüssel gegeben — für den Fall, daß er nicht zu Hause ist, wenn ich
komme.« Sie machte die kleine schwarze Tasche auf und hielt triumphierend einen
Türschlüssel hoch. »Da ist er!« Sie betrachtete ihn näher. »14 B. Ich muß wohl
im Aufzug den falschen Knopf gedrückt haben — oder so.«
»Na, es freut mich ehrlich, daß
Sie Onkel Joe gefunden haben«, sagte ich vorsichtig. »Und Sie wollen ganz
bestimmt kein Frühstück, ehe Sie ihn besuchen?«
»Nein, ich will keins und wir
beide werden ihn jetzt besuchen, vergessen Sie das nicht.«
»Wie könnte ich?« Ich widmete
ihr ein zaghaftes Lächeln. »Er ist doch der, der sich so schlecht beherrschen
kann, oder?«
»Überhaupt nicht!« antwortete
sie mit Nachdruck. »Wie war doch noch Ihr Name? Es sähe dumm aus, wenn ich Sie
Onkel Joe nicht mal vorstellen könnte.«
»Danny Boyd«, sagte ich. »Und
wie heißen Sie?«
»Das ist unwichtig«, erwiderte
sie großzügig. »Wir werden uns ja doch nicht näher kennenlernen. Gehen wir.«
Sie nahm Kurs auf die Tür, und ich folgte ihr, wobei ich mir die Daumen
drückte, daß sie in puncto Onkel Joe nur gescherzt hatte — und daß er ein
netter kleiner Herr von etwa 75 war, mit einem chronischen Herzleiden.
Zwei Minuten später standen wir
vor der Tür von 14B und sahen uns an, nachdem sie auf den Klingelknopf gedrückt
hatte. In diesem Augenblick hätte mir ein weiteres Glas Orangensaft gewiß gut
getan, vielleicht mit einem Drittel Wodka drin — aber sie wirkte nicht mal
nervös.
Als sich eine ganze Weile
nichts rührte, klingelte sie erneut, und danach rührte sich ebensowenig.
»Ich glaube, er ist nicht zu
Hause«, sagte ich fröhlich, »Warum schließen Sie nicht auf und warten drin auf
ihn?«
»Das wäre wohl das beste«,
meinte sie zögernd.
»Bestellen Sie Onkel Joe schöne
Grüße«, sagte ich und trat den Rückzug zum Lift an. »Und sagen Sie ihm, es tut
mir wirklich leid, daß ich ihn nicht kennengelernt habe...«
»Halt!« schnappte sie. »Sie
bleiben hier! Und Sie gehen mit mir jetzt in dieses Apartment, Danny Boyd!«
»Meine Liebe«, argumentierte
ich. »Ich muß doch meine Brötchen verdienen. Ich kann’s mir einfach nicht
leisten, herumzusitzen und auf Onkel Joe zu warten. Vielleicht macht er Urlaub
in Alaska?«
»Wahrscheinlich ist er im Bad
und hat die Klingel nicht gehört«, schimpfte sie. »Also, Sie gehen jetzt mit
rein — jedenfalls, bis wir nachgeschaut haben, ob er da ist oder nicht.«
Sie holte den Schlüssel heraus,
öffnete die Tür, und ich folgte ihr widerstrebend in die Wohnung. Das
Wohnzimmer war nett, großzügig möbliert — und leer. »Onkel Joe?« rief das
brünette Mädchen ein paarmal mit unsicherer Stimme. Keine Antwort.
»Das wär’s denn wohl«, sagte
ich. »Er ist nicht da.«
»Sie sehen im Schlafzimmer und
im Bad nach«, befahl sie. »Ich gehe mal in die Küche. Ich will mich überzeugen,
ehe ich Sie laufen lasse, Danny Boyd.«
»Okay«, seufzte ich. »Langsam
kriege ich den Eindruck, daß Sie mir nicht trauen.«
»Ha!« sagte sie nur, aber in
dem einen Wort steckte mehr
Weitere Kostenlose Bücher