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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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zu vertraut waren, um uns zu täuschen. Dann legte sich
     der Wind, und in der Luft lagen nur noch die normalen Waldgerüche.
    Paul schaute sich verzweifelt um. «Hast du mitgekriegt, woher er gekommen ist?»
    Ich deutete auf den Berghang, von wo die Brise hergeweht zu sein schien. «Ich glaube, aus der Richtung.»
    Ohne ein Wort marschierte er in den Wald. Ich schaute mich noch einmal zum Wagen um und lief dann hinter ihm her. Wir kamen
     nur mit Mühe voran. Es gab keinen Pfad oder Weg, außerdem waren wir beide nicht für eine Wanderung gekleidet. Die Zweige blieben
     an uns hängen, als wir über den unebenen Boden und an den Büschen vorbeistolperten, die es unmöglich machten, geradeaus zu
     gehen. Am Anfang bot uns der Wagen eine gewisse Orientierung, sobald er aber außer Sichtweite war, konnten wir nur noch mutmaßen.
    «Wenn wir weitergehen, werden wir uns noch verlaufen», keuchte ich, als Paul stehen blieb, um sich von einem Ast zu befreien,
     der sich in seiner Jacke verhakt hatte. «Es hat keinen Sinn, hier ziellos umherzuirren.»
    Er suchte den Wald ab, atmete schwer und kaute auf seiner Lippe. Obwohl er verzweifelt nach einer Spur Ausschau hielt, die
     ihn zu York und Sam führte, wusste er genauso gut wie ich, dass der Geruch, den wir wahrgenommen hatten, vielleicht nur von
     einem toten Tier stammte.
    Doch ehe einer von uns etwas sagen konnte, kam erneut eine Brise auf und ließ die Äste um uns herum erzittern. Wir |358| tauschten einen Blick aus. Da war der Geruch wieder, stärker als zuvor.
    Wenn es ein Tier war, dann musste es ein ziemlich großes sein.
    Paul hob eine Handvoll Kiefernnadeln vom Boden auf, warf sie in die Luft und beobachtete, in welche Richtung sie davongeweht
     wurden. «Hier lang.»
    Etwas zuversichtlicher gingen wir weiter. Jetzt war der Verwesungsgeruch auch dann wahrzunehmen, wenn sich die Brise legte.
Um das zu riechen, brauchst du keinen Detektor,
Tom
. Wie zur Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg waren, erkannte ich vor uns das metallische Schimmern einer Libelle,
     die durch die Bäume schwirrte.
    Und dann sahen wir den Zaun.
    Es war ein über zwei Meter hoher, morscher Holzlattenzaun mit einer Stacheldrahtkrone, der teilweise von Krüppelkiefern und
     Büschen verdeckt war. Davor verlief ein wesentlich älter aussehender, rostiger Maschendrahtzaun.
    Paul schien von einer beinahe fiebrigen Energie angetrieben zu werden, als wir uns einen Weg entlang der Abgrenzung bahnten.
     Ein Stück weiter befanden sich zwei alte Steinpfosten. Das Tor war mit Holzlatten versperrt. Der Boden davor war überwuchert,
     man konnte aber noch tiefe, parallele Furchen erkennen.
    «Radspuren», sagte Paul. «Wenn es ein Tor gibt, muss hier auch mal ein Weg gewesen sein. Vielleicht der, dem wir gefolgt sind.»
    Wenn, dann war er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt worden.
    Der Verwesungsgeruch war noch stärker geworden, aber weder Paul noch ich sagten etwas dazu. Es war nicht nötig. Paul stieg
     über den durchhängenden Maschendrahtzaun, |359| packte eine der Latten und riss daran. Das morsche Holz splitterte unter seinen Händen weg.
    «Warte, wir müssen Gardner benachrichtigen», sagte ich und griff nach meinem Telefon.
    «Und was willst du ihm sagen?» Er zerrte stöhnend vor Anstrengung an dem Zaun. «Glaubst du, er lässt alles stehen und liegen
     und kommt angerannt, weil wir etwas Totes gerochen haben?»
    Er trat gegen eine Latte, bis sie wegbrach, machte sich dann wütend über die nächste her und stemmte sie mit einem lauten
     Quietschen von einem hartnäckigen Nagel. Hinter dem Loch war Gestrüpp, sodass man nicht sehen konnte, was sich auf der anderen
     Seite befand. Nachdem er die letzten Holzsplitter weggerissen hatte, warf er mir einen kurzen Blick zu.
    «Du musst nicht mitkommen.»
    Dann begann er, durch den Zaun zu klettern. Innerhalb von Sekunden war er hinter schwankenden Zweigen verschwunden.
    Ich zögerte. Niemand wusste, wo wir waren, und nur Gott wusste, was hinter dem Zaun lag. Aber ich konnte Paul nicht allein
     lassen.
    Also zwängte ich mich auch durch das Loch.
    Als etwas an meiner Jacke zerrte, zuckte ich zusammen. Ich zog panisch daran, bis ich sah, dass sie nur an dem Nagel hängen
     geblieben war. Ich befreite mich und kletterte in das Dickicht auf der anderen Seite. Paul konnte ich nicht sehen, aber vor
     mir hörte ich es knistern und rascheln. Ich folgte ihm, so gut ich konnte, und schirmte mein Gesicht mit einer Hand vor den
    

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