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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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Stadium», sagte ich. Das bedeutete, dass die Larve mindestens sechs Tage alt war, wahrscheinlich sogar älter.
    Tom nickte und ließ die Larve in ein kleines Glas mit Formaldehyd fallen. «Und manche haben bereits begonnen, sich zu verpuppen.
     Demnach wäre der Tod vor sechs oder sieben Tagen eingetreten.»
    «Jedenfalls nicht erst vor fünf», erwiderte ich. Meine Hand war wieder zu meinem Bauch gewandert. Ich nahm sie weg.
Komm schon, konzentrier dich.
Ich versuchte, mich voll und ganz der vor mir liegenden Leiche zu widmen. «Vielleicht hat der Mord woanders stattgefunden,
     und die Leiche wurde erst danach hierhergebracht.»
    Tom zögerte. Ich sah, wie zwei der weißgekleideten Gestalten einen Blick austauschten, und war mir sofort meines Fehlers bewusst.
Dümmer geht es nicht.
    «Ziemlich unnötig, Arme und Beine an den Tisch zu binden, wenn das Opfer schon tot war», sagte der große Beamte der Spurensicherung
     und sah mich belustigt an.
    «Vielleicht sind die Leichen in England lebendiger als hier», meinte Gardner trocken.
    Die anderen lachten. Ich spürte, wie mein Gesicht glühte, aber es gab nichts, was ich hätte sagen können, um mich aus der
     Affäre zu ziehen.
Idiot. Was ist nur mit dir los?
    Tom schraubte mit bemüht teilnahmslosem Gesicht den Deckel auf das Glas. «Ist dieser Loomis deiner Meinung nach das Opfer
     oder der Mörder?», fragte er Gardner.
    «Tja, in der Brieftasche, die wir gefunden haben, steckten Loomis’ Führerschein und seine Kreditkarte. Außerdem über sechzig
     Dollar in bar. Wir haben ihn überprüft: sechsunddreißig Jahre alt, weiß, Versicherungsangestellter aus Knoxville. |41| Er ist ledig, lebt allein und ist seit mehreren Tagen nicht bei der Arbeit gewesen.»
    Die Tür der Hütte ging auf, und Jacobsen kam herein. Wie Gardner trug sie Handschuhe und Überschuhe, sie sah aber selbst damit
     beinahe elegant aus. Eine Maske hatte sie sich nicht aufgesetzt, und als sie neben dem älteren Agenten stehen blieb, wirkte
     ihr Gesicht blass.
    «Wenn also der Mörder diese Hütte nicht unter seinem Namen gebucht hat und so aufmerksam gewesen ist, seine Papiere liegenzulassen,
     ist das Opfer entweder Loomis oder ein anderer Mann, von dem wir nichts wissen», sagte Tom.
    «So sieht’s aus», sagte Gardner. Er verstummte, als ein weiterer Agent in der Tür erschien.
    «Sir, da möchte jemand mit Ihnen sprechen.»
    «Ich komme gleich zurück», sagte Gardner und ging hinaus.
    Jacobsen blieb in der Hütte. Sie war noch immer blass, verschränkte nun aber die Arme, als wollte sie jede Schwäche unterdrücken.
    «Woher wissen Sie, dass es ein Mann ist?», fragte sie. Ihr Blick schweifte automatisch zu dem Madengewimmel im Schritt des
     Opfers, sie wandte ihn aber schnell wieder ab. «Ich kann nichts sehen, woran man das erkennen könnte.»
    Ich hatte schon stärkere Akzente als ihren gehört, er war jedoch ausgeprägt genug, um sie als Einheimische zu entlarven. Ich
     schaute zu Tom, aber der war völlig von der Leiche in Anspruch genommen. Oder er tat zumindest so.
    «Also, abgesehen von der Größe   …», begann ich.
    «Nicht alle Frauen sind klein.»
    «Stimmt, aber nicht viele sind so groß. Und selbst eine große Frau würde eine feinere Knochenstruktur aufweisen, besonders
     was das Cranium betrifft. Das ist   …»
    |42| «Ich weiß, was ein Cranium ist.»
    Sie war wirklich verdammt empfindlich. «Ich wollte sagen, das ist normalerweise ein guter Indikator für das Geschlecht», beendete
     ich den Satz.
    Sie reckte trotzig das Kinn, machte aber keine weitere Bemerkung. Tom hatte die klaffende Öffnung des Mundes untersucht und
     richtete sich auf.
    «David, schau dir das mal an.»
    Er trat zur Seite, als ich zu ihm kam. Der größte Teil des Gewebes war aus dem Gesicht verschwunden, in den Augenhöhlen und
     der Nase wimmelte es von Maden. Die Zähne waren fast vollständig entblößt, und wo das Zahnfleisch gewesen war, hatte das gelbliche
     Weiß des Zahnbeins eine deutlich rote Färbung.
    «Rosarote Zähne», bemerkte ich.
    «Hast du das schon mal gesehen?», fragte Tom.
    «Ein-, zweimal.» Aber nicht häufiger. Und nicht in solchen Situationen.
    Jacobsen hatte uns zugehört. «Rosarote Zähne?»
    «Das wird durch das Hämoglobin im Blut verursacht, wenn es ins Zahnbein dringt», erklärte ich ihr. «Dadurch sehen die Zähne
     unter dem Schmelz rosafarben aus. Man hat das manchmal bei Ertrunkenen, die einige Zeit im Wasser gewesen sind, denn sie treiben
     meistens

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