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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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Jammer.» Es klang, als würde er eine Dinnerparty versäumen. «Trotzdem, angesichts der Blutmenge auf dem Boden ist es
     offensichtlich, dass die Verletzungen zugefügt worden sind, als das Opfer noch lebte. Und ich denke, dass die Genitalverstümmelung
     von großer Bedeutung ist.»
    Ich reagierte automatisch. «Nicht unbedingt. Schmeißfliegen legen ihre Eier in jede Körperöffnung, einschließlich der Genitalien.
     Die Insektenaktivität muss nicht bedeuten, dass es dort eine Wunde gegeben hat. Um das festzustellen, müssen wir eine vollständige
     Untersuchung durchführen.»
    «Tatsächlich?»
    Irvings Lächeln war starr geworden. «Aber Sie werden zugeben, dass das Blut von irgendwoher stammen muss, oder? Oder ist die
     Sauerei unter dem Tisch nur verschütteter Kaffee?»
    «Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass   …», begann ich, doch Irving hörte mir schon nicht mehr zu. Ich schloss verärgert den Mund, als er sich zu Gardner und Jacobsen
     umdrehte.
    «Wie gesagt, wir haben ein gefesseltes und nacktes Opfer, das aller Wahrscheinlichkeit nach gefoltert wurde. Die Frage ist,
     ob die Wunden das Resultat einer postkoitalen Raserei oder eines frustrierten sexuellen Triebs sind. Mit anderen Worten, ob
     sie zugefügt worden sind,
weil
er einen hochgekriegt hat oder weil er
keinen
hochgekriegt hat.»
    Auf seine Worte folgte Stille. Selbst die Beamten der Spurensicherung hatten innegehalten, um zuzuhören.
    «Sie glauben, der Mord war sexuell motiviert?», fragte Jacobsen nach einem Augenblick.
    |49| Irving setzte eine überraschte Miene auf. Meine Abneigung gegen ihn wurde noch etwas tiefer.
    «Entschuldigen Sie, aber ich dachte, das wäre aufgrund der Tatsache, dass das Opfer nackt zurückgelassen wurde, offensichtlich.
     Deswegen ist die Art der Verletzungen von großer Bedeutung. Wir haben es mit einem Menschen zu tun, der seine Sexualität entweder
     verleugnet oder der sie verabscheut und seinen Selbstekel an seinem Opfer auslässt. Auf jeden Fall ist er nicht offen homosexuell.
     Er könnte verheiratet und eine Stütze der Gesellschaft sein. Vielleicht jemand, der mit seinen weiblichen Eroberungen prahlt.
     Diese Tat wurde von einem Menschen begangen, der sich selbst verabscheut und der diesen Selbsthass in Aggression gegen sein
     Opfer umleitet.»
    Jacobsens Gesicht war ausdruckslos. «Sagten Sie nicht, der Mörder wäre stolz auf seine Tat? Dass es keinerlei Anzeichen von
     Scham oder Reue gäbe?»
    «Nicht in Bezug auf den eigentlichen Mord. Er hat sich hier auf die Brust getrommelt und versucht, der ganzen Welt – einschließlich
     seiner selbst – zu zeigen, wie großartig und stark er ist. Ganz anders sieht es bei dem
Grund
für seine Tat aus.
Dafür
schämt er sich.»
    «Es könnte auch andere Gründe dafür geben, dass das Opfer nackt ist», sagte Jacobsen. «Es könnte eine Form von Demütigung
     oder eine andere Art der Machtausübung sein.»
    «So oder so, Machtausübung läuft normalerweise immer auf Sex hinaus», sagte Irving lächelnd, aber es sah mittlerweile etwas
     gezwungen aus. «Schwule Serienmörder sind selten, aber sie kommen vor. Und nach allem, was ich gesehen habe, glaube ich, dass
     wir es in diesem Fall mit einem zu tun haben.»
    Jacobsen wollte nicht klein beigeben. «Wir wissen noch nicht genug über die Motivation des Mörders, um   …»
    |50| «Entschuldigen Sie, aber haben Sie viel Erfahrung bei der Ermittlung von Serienmördern?» Irvings Lächeln war eisig geworden.
    «Nein, aber   …»
    «Dann ersparen Sie mir doch diese Populärpsychologie.»
    Jetzt gab es nicht einmal mehr den Anschein eines Lächelns. Jacobsen reagierte nicht, die roten Flecken auf ihren Wangen verrieten
     aber, wie es in ihr aussah. Ich hatte Mitleid mit ihr. Egal, wie reserviert sie zuvor gewesen war, das hatte sie nicht verdient.
    Eine betretene Stille war aufgekommen. Gardner durchbrach sie. «Was ist mit dem Opfer? Glauben Sie, dass der Mörder es kannte?»
    «Vielleicht, vielleicht auch nicht.» Irving schien das Interesse verloren zu haben. Er zupfte am Kragen seines Hemdes, das
     runde Gesicht war errötet und mit Schweißperlen bedeckt. Seitdem die Fenster geöffnet worden waren, hatte es sich in der Hütte
     abgekühlt, es war aber immer noch stickig und heiß. «Ich bin hier fertig. Ich brauche Kopien der forensischen Berichte und
     Fotos, dazu alle Informationen, die Sie über das Opfer haben.»
    Er wandte sich mit einem Grinsen an Jacobsen, das er wahrscheinlich für

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