Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
Vom Netzwerk:
Raum dahinter war wahrscheinlich einmal für Massagen benutzt worden. |374| Jetzt war es Yorks Dunkelkammer. Ein chemischer Gestank strömte uns entgegen. Auf einem alten Schreibtisch standen Entwicklerschalen
     und Kartons mit Fotochemikalien, an einer darüber aufgespannten Schnur hingen weitere Fotografien.
    Paul zwängte sich an mir vorbei und lief zum nächsten Raum. Der Gestank, der noch stärker war als die beißenden Chemikalien
     der Dunkelkammer, ließ bereits erahnen, was wir entdecken würden. Alles in mir sträubte sich, einen Blick hineinzuwerfen.
     Paul schien es nicht anders zu ergehen. Er zögerte, sein Gesicht war leichenblass.
    Dann machte er die Tür auf.
    Auf dem gefliesten Boden lagen weitere Opfer von York. Sie waren aufeinandergestapelt wie Brennholz und vollständig bekleidet.
     Anscheinend hatte er sie einfach hier hereingeschleift und liegengelassen, als hätte er das Interesse an ihnen verloren.
    Die Leiche, die ganz oben lag, hätte auch eine Schlafende sein können. Mit der ausgestreckten Hand und dem aufgefächerten
     blonden Haar sah sie im schummerigen Licht, das durch die Tür hereinfiel, furchtbar verletzlich aus.
    Paul gab einen Ton von sich, der halb wie ein Schluchzen und halb wie ein Schrei klang.
    Wir hatten Sam gefunden.

[ Navigation ]
    |375| KAPITEL 24
    Es war, als wäre mir alle Kraft genommen worden. Obwohl ich vermutet hatte, dass Sam bereits tot war, dass es für York keinen
     Grund gab, sie am Leben zu lassen, hatte ich es nicht glauben wollen.
    Ich hielt Paul fest, als er sich nach vorn warf. «Nicht   …»
    Ich hatte die Fotos von Yorks Opfern gesehen. Paul sollte Sam nicht so sehen. Er wollte sich losreißen, aber dann gaben seine
     Beine nach. Er taumelte zurück und rutschte an der Wand hinab.
    «Sam   … O mein Gott   …!»
    Tu etwas
, sagte ich mir.
Schaff ihn hier raus
. Er war auf dem Boden zusammengesackt wie eine zerbrochene Puppe. Ich versuchte ihn hochzuziehen.
    «Komm. Wir müssen gehen.»
    «Sie war
schwanger
. Sie wollte einen Jungen   … O Gott   …»
    Ich hatte einen Kloß im Hals. Aber wir durften nicht dort bleiben. Wir wussten nicht, wo York steckte.
    «Steh auf, Paul. Du kannst ihr nicht mehr helfen.»
    Aber er hörte nicht zu. Ich wollte es erneut versuchen, doch plötzlich wurde es in der winzigen Kammer dunkel. Ich wirbelte
     herum und sah, dass die Tür zugefallen war. Als ich sie aufschob, rechnete ich damit, dass York davorstand. Doch da war niemand,
     und als das schummrige Licht |376| durch die Tür auf Sams Leiche schien, fiel mir etwas anderes auf.
    Unter dem zerzausten blonden Haar funkelte es silbrig.
    Mit zusammengeschnürter Brust machte ich einen Schritt auf den Leichenberg zu. Als ich vorsichtig das Haar zur Seite strich,
     stockte mir der Atem. Schwankend schaute ich hinab auf das vertraute Gesicht.
O Gott
.
    Hinter mir hörte ich Paul weinen.
    «Paul   …»
    «Ich habe sie im Stich gelassen. Ich hätte   …»
    Ich packte ihn an den Schultern. «Hör mir zu:
Es ist nicht
Sam!
»
    Er hob sein tränenüberströmtes Gesicht.
    «Es ist nicht Sam», wiederholte ich und ließ ihn los. Was ich zu sagen hatte, brachte ich nur unter Schmerzen hervor. «Es
     ist Summer.»
    «Summer?»
    Ich trat einen Schritt zurück, als er sich langsam aufrappelte und dann ängstlich auf die Leiche zuging. Er konnte es anscheinend
     nicht glauben.
    Doch die Piercings in Ohren und Nase überzeugten ihn davon, dass das nicht seine Frau war. Er stand mit dem Messer in seiner
     schlaff herabhängenden Hand da und betrachtete das gebleichte blonde Haar, das uns getäuscht hatte. Die Studentin lag auf
     dem Bauch, der Kopf war zur Seite gedreht. Ihr Gesicht war furchtbar angeschwollen, das eine Auge, das zu sehen war, war blutunterlaufen
     und starrte trübe ins Leere.
    Ich hatte angenommen, dass Summer nicht ins Leichenschauhaus gekommen war, weil Toms Tod sie betrübt hatte. Doch stattdessen
     hatte York sie zu seinem nächsten Opfer gemacht.
    Ein Zittern fuhr durch Paul. «O mein Gott   …»
    |377| Tränen strömten ihm über das Gesicht. Ich ahnte, was er fühlte: Erleichterung, aber auch tiefes Bedauern. Mir ging es genauso.
    Er schob sich an mir vorbei aus der Kammer.
    «SAM! SAM, WO BIST DU?»
    Sein Ruf hallte von den gekachelten Wänden des Bades wider. Ich ging hinter ihm her. «Paul   …»
    Aber jetzt konnte er sich nicht mehr zügeln. Er stand in der Mitte des Bades und hielt entschlossen das Messer umklammert.
    «WAS HAST DU MIT IHR

Weitere Kostenlose Bücher