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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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auf |65| dem gefliesten Boden vor meiner Wohnungstür, wo sich der metallische Gestank des Blutes mit einem feineren, sinnlicheren Duft
     mischte.
    Grace Strachans Parfüm.
    Sie ist hier
. Ich richtete mich kerzengerade auf und schaute mich hektisch um. Im Restaurant herrschte ein einziges Durcheinander aus
     Lärm und Farben. Ich musterte die Gesichter und suchte verzweifelt nach einem verräterischen Zug, nach einer entlarvenden
     Tarnung.
Sie muss hier irgendwo
sein. Wo ist sie?
    «Kaffee?»
    Ich starrte verdutzt zu der Kellnerin hoch, die neben mir aufgetaucht war. Sie war noch keine zwanzig und etwas übergewichtig.
     Ich konnte ihr Parfüm durch die Küchen- und Bargerüche riechen, ein billiger und widerlicher Moschusduft. Aus der Nähe hatte
     er nichts gemein mit dem feinen Parfüm, das Grace Strachan benutzte.
    Trotzdem hatte er mich einen Augenblick getäuscht.
    «Haben Sie Kaffee bestellt?», fragte die Kellnerin und schaute mich argwöhnisch an.
    «Entschuldigung. Ja, danke   …»
    Sie stellte den Kaffee ab und ging weiter. Meine Arme und Beine kribbelten und zitterten. Ich merkte, dass sich meine Hand
     so fest um die Narbe geballt hatte, dass es wehtat.
Idiot.
Als wenn Grace dir hätte folgen können   …
Die Erkenntnis, wie blank meine Nerven lagen, selbst hier, hinterließ einen sauren Geschmack in meinem Mund. Ich versuchte
     mich zu entspannen, doch mein Herz raste noch immer. Mit einem Mal schien nicht genügend Luft in dem Raum zu sein. Der Lärm
     und die Gerüche waren unerträglich.
    «David?» Sam sah mich besorgt an. «Du bist kreidebleich geworden.»
    |66| «Ich bin nur etwas müde. Ich werde aufbrechen.» Ich musste nach draußen und begann bereits, blind Scheine aus meinem Portemonnaie
     zu ziehen.
    «Warte, wir werden dich fahren.»
    «Nein!» Ich legte ihr eine Hand auf den Arm, ehe sie sich an Paul wenden konnte. «Bitte. Alles in Ordnung, wirklich.»
    «Bist du sicher?»
    Ich rang mir ein Lächeln ab. «Absolut.»
    Sie war nicht überzeugt, aber ich schob schon meinen Stuhl zurück und ließ ein paar Scheine auf den Tisch fallen, ohne zu
     wissen, ob es genug waren oder nicht. Paul und die anderen waren in Gespräche vertieft, und ich achtete nicht darauf, ob jemand
     bemerkte, dass ich ging. Ich konnte mich gerade noch davon abhalten, loszulaufen, als ich durch die Tür auf die Straße stürzte.
     Selbst als ich draußen in der kühlen Frühlingsnacht tief Luft holte, blieb ich nicht stehen. Ich wollte nur weg, auch wenn
     ich keine Ahnung hatte, wohin ich gehen musste.
    Ich trat vom Gehweg hinunter und sprang erschrocken zur Seite, als links von mir eine ohrenbetäubende Hupe ertönte. Dann ratterte
     wenige Zentimeter vor mir eine Straßenbahn vorbei, deren Fenster grelle Lichttupfer in der Dunkelheit waren, und ich stolperte
     zurück auf den Bürgersteig. Nachdem sie vorbeigefahren war, eilte ich über die Straße und lief wahllos durch die Straßen.
     Es war Jahre her, dass ich zum letzten Mal in Knoxville gewesen war, und ich wusste nicht, wo ich war, und noch weniger, wohin
     ich ging.
    Es war mir egal.
    Erst als ich den dunklen Streifen jenseits der Straßenlaternen vor mir sah, wurde ich langsamer. Ich konnte den Fluss spüren,
     bevor ich ihn sah, eine Feuchtigkeit in der Luft, durch die ich schließlich wieder zu mir kam. Ich war schweißgebadet, |67| als ich mich an das Geländer lehnte. Die Brücken, die die mit Bäumen gesäumten Ufer verbanden, wirkten in der Finsternis wie
     skelettartige Bogen. Darunter floss der Tennessee River so ruhig und träge vorbei, wie er es seit Tausenden von Jahren getan
     hatte. Und wie er es wahrscheinlich weitere tausend Jahre tun würde.
    Was ist nur los mit dir, verdammt? Läufst nur wegen
eines billigen Parfüms voller Angst davon.
Aber ich war zu erschöpft, um mich zu schämen. Da ich mich so einsam fühlte wie nie zuvor, holte ich mein Handy hervor und
     ging die eingespeicherten Namen im Telefonbuch durch. Jennys Name und Nummer erschienen auf dem beleuchteten Display. Mein
     Daumen schwebte über der Wähltaste. Ich wollte unbedingt wieder mit ihr sprechen, ihre Stimme hören. Doch zu Hause in England
     war es früher Morgen, und selbst wenn ich sie anrief, was sollte ich sagen?
    Es war bereits alles gesagt worden.
    «Wissen Sie, wie spät es ist?»
    Ich zuckte zusammen, als ich die Stimme neben mir hörte. Ich befand mich im dunklen Bereich zwischen zwei Straßenlaternen
     und konnte von dem Mann nur die rote Glut seiner

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