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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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den Messergriff obszön aus
meinem Bauch hervorragen und öffnete den Mund, um loszuschreien

    «Nein!»
    Keuchend richtete ich mich auf. Ich konnte das warme Blut auf meiner Haut spüren. Ich warf die Bettdecke zurück und schaute
     im trüben Mondlicht hektisch hinab auf meinen Bauch. Doch da war kein Messer, kein Blut. Nur ein schimmernder Schweißfilm
     und die hässliche Narbe direkt unterhalb der Rippen.
    Mein Gott.
Als ich mein Hotelzimmer erkannte und sah, dass ich allein war, ließ ich mich erleichtert zurückfallen.
    Nur ein Traum.
    Mein Herzschlag beruhigte sich, das Pochen in meinen Ohren ebbte ab. Ich schwang meine Beine über die Bettkante und setzte
     mich zitternd hin. Halb sechs zeigte die Uhr auf dem Nachttisch an. Der Wecker war auf eine Stunde später |71| eingestellt, aber es wäre sinnlos gewesen, wenn ich versucht hätte, wieder einzuschlafen.
    Ich stand mit steifen Gelenken auf und schaltete das Licht ein. Jetzt bereute ich fast, dass ich Tom zugesagt hatte, ihm bei
     der Untersuchung der Leiche aus der Hütte zu helfen.
Eine heiße Dusche und ein ordentliches Frühstück. Danach
wird alles besser aussehen.
    Eine Viertelstunde verbrachte ich mit den Übungen zur Kräftigung meiner Bauchmuskulatur, dann ging ich ins Bad und stellte
     mich unter die Dusche. Ich ließ mir den heißen Strahl ins Gesicht strömen und hoffte, dass das prickelnde Wasser die Nachwirkungen
     des Traums davonspülen würde.
    Als ich aus der Dusche stieg, waren die letzten Reste des Schlafes weggeschwemmt. Im Zimmer gab es eine Kaffeemaschine, die
     ich anstellte. Dann zog ich mich an und fuhr meinen Laptop hoch. In England war jetzt später Vormittag, und während ich an
     einem schwarzen Kaffee nippte, überprüfte ich meine E-Mails . Keine Nachricht war dringend, ich beantwortete nur die wichtigsten und sparte mir den Rest für später auf.
    Das Restaurant im Erdgeschoss war bereits fürs Frühstück geöffnet, aber ich war der einzige Gast. Ich ließ die Waffeln und
     Pancakes stehen und entschied mich fürToast und Rührei. Als ich hereingekommen war, hatte ich Hunger gehabt, doch nun war
     selbst das zu viel für mich, und ich schaffte kaum die Hälfte. Mein Magen war verkrampft, obwohl ich nicht wusste, warum.
     Ich sollte Tom lediglich bei einer Arbeit helfen, die ich schon unzählige Male zuvor allein getan hatte, und zwar unter wesentlich
     schlimmeren Umständen als diesen.
    Aber mir das zu sagen änderte nichts an meinem Unbehagen.
    Als ich aus dem Hotel hinaustrat, ging gerade die Sonne |72| auf. Obwohl der Parkplatz noch im Schatten lag, wurde der tiefblaue Himmel langsam fahl und war am Horizont von leuchtendem
     Gold durchzogen.
    Mein Mietwagen war ein Ford. Die feinen Unterschiede in der Ausstattung und das Automatikgetriebe des Wagens waren eine weitere
     Erinnerung daran, dass ich mich in einem anderen Land befand. Schon zu dieser frühen Stunde herrschte auf den Straßen reger
     Verkehr. Es war ein wunderbarer Morgen. Sosehr Knoxville in den letzten Jahren auch gewachsen war, dieser östliche Teil Tennessees
     war recht ruhig und grün geblieben. Die Frühlingssonne hatte noch nicht die Hitze und Schwüle des Hochsommers entwickelt,
     und zu dieser Tageszeit war die Luft frisch und ungetrübt von Abgasen.
    Die Fahrt zur Uniklinik dauerte zwanzig Minuten. Das Leichenschauhaus befand sich in einem anderen Bereich des Campus als
     die Body Farm, aber ich kannte den Weg dorthin von früheren Aufenthalten.
    Der Mann an der Anmeldung des Leichenschauhauses war so riesig, dass der Tresen wie ein Kinderspielzeug aussah. Außerdem war
     er derart mit Fett gepolstert, dass er praktisch knochenlos wirkte. Der Riemen seiner Uhr grub sich in das aufgeblähte Handgelenk
     wie ein Käseschneider in Teig. Er atmete schnaufend, als ich ihm erklärte, wer ich war.
    «Autopsiesaal fünf. Durch die Tür und den Flur entlang.» Seine hohe Stimme passte nicht zu der massigen Statur. Mit einem
     pausbäckigen Lächeln reichte er mir eine elektronische Passierkarte. «Können Sie nicht verfehlen.»
    Ich zog die Karte durch den Schlitz an der Tür und betrat das Leichenschauhaus. Der vertraute Geruchscocktail aus Formaldehyd,
     Bleich- und Desinfektionsmittel empfing mich. Tom war bereits im Autopsiesaal, bekleidet mit einem |73| O P-Anzug und einer Gummischürze. Auf einer Arbeitsbank in seiner Nähe stand ein tragbarer C D-Player , aus dem leise ein rhythmisches Schlagzeugstück ertönte, das ich nicht erkannte. Ein

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