Leichenblässe
genug, um an seiner leicht vorgeschobenen Lippe zu erkennen, dass er dieses Vorgehen nicht guthieß, aber
er sagte nichts. Bis die Leiche offiziell ihm übergeben worden war, trug Hicks die Verantwortung.
Jacobsen protestierte trotzdem. «Sir, glauben Sie nicht, dass das warten sollte?», sagte sie zu Hicks.
Der Pathologe lächelte sie provokativ an. «Wollen Sie meine Autorität in Frage stellen?»
«Um Gottes willen, Donald, öffnen Sie das verdammte Ding, wenn Sie unbedingt wollen», sagte Gardner.
Mit einem letzten bösen Blick auf Jacobsen gab Hicks einem der Arbeiter ein Zeichen. Das Aufheulen des Akkuschraubenziehers
erschütterte die Stille. Ich schaute hinüber zu Jacobsen, aber man konnte ihr ihre Gefühle nicht ansehen. Sie musste gespürt
haben, dass sie beobachtet wurde, denn plötzlich traf ihr Blick meinen. Für einen kurzen Moment konnte ich die Wut in ihren
grauen Augen sehen, dann schaute sie weg.
Nachdem die letzte Schraube herausgedreht worden war, gesellte sich ein anderer Arbeiter zum ersten. Gemeinsam hoben sie den
Deckel an. Er hatte sich verzogen und klemmte ein wenig, ehe er sich abheben ließ.
«O mein Gott!», stieß einer der Männer hervor und wandte den Kopf ab.
|96| Der unerträgliche, widerlich süßliche Gestank der Verwesung strömte aus dem Sarg. Die Arbeiter wichen hastig zurück.
Ich stellte mich neben Tom und schaute hinein.
Ein fleckiges weißes Tuch bedeckte den größten Teil der Überreste, sodass nur der Schädel zu sehen war. Fast das gesamte Haar
hatte sich abgelöst, wie schmutzige Spinnweben hingen nur noch ein paar dünne Strähnen hinab. Die Leiche war bereits so weit
verwest, dass das Fleisch durch Bakterien, die das Gewebe verflüssigt hatten, von den Knochen geschmolzen zu sein schien.
Im abgeschlossenen Milieu des Sargs hatte diese sogenannte Sargflüssigkeit nicht verdunsten können. Sie war schwarz und zäh
und vom Leichentuch aufgesogen worden.
Hicks warf einen kurzen Blick in den Sarg. «Meinen Glückwunsch, Lieberman. Die können Sie haben.»
Ohne sich noch einmal umzudrehen, marschierte er zu den geparkten Autos. Gardner schaute angewidert auf den schaurigen Inhalt
des Sargs. Er hielt sich ein Taschentuch vor Mund und Nase, als könnte er damit dem Gestank entgehen.
«Ist das normal?»
«Nein», erwiderte Tom, der Hicks einen bösen Blick hinterherwarf.
Gardner wandte sich an York. «Haben Sie eine Ahnung, wie das passieren konnte?»
Das Gesicht des Bestattungsunternehmers war dunkelrot geworden. «Selbstverständlich nicht! Und ich weise die Unterstellung
zurück, dass das mein Fehler sein soll! Steeple Hill kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, was in einem Sarg nach
der Beerdigung passiert!»
«Dachte ich mir schon.» Gardner winkte die Arbeiter heran. |97| «Machen Sie ihn wieder zu. Und dann ab damit in die Leichenhalle.»
In der Zwischenzeit hatte ich mir die Überreste etwas genauer angesehen. «Tom, schau dir mal den Schädel an», sagte ich.
Er hatte noch immer hinter dem Pathologen hergestarrt. Jetzt sah er mich fragend an und tat dann, worum ich ihn gebeten hatte.
Ich sah, wie sich seine Miene veränderte.
«Das wird dir nicht gefallen, Dan.»
«Was denn?» Statt zu antworten, deutete Tom mit einem Blick auf York und die Arbeiter. Gardner drehte sich zu ihnen um. «Würden
Sie uns bitte einen Moment entschuldigen, meine Herren?»
Die Arbeiter gingen zum Bagger und steckten sich Zigaretten an. York verschränkte seine Arme.
«Das ist mein Friedhof. Ich werde nirgendwohin gehen.»
Gardners Nasenflügel bebten, als er seufzte. «Mr. York …»
«Ich habe jedes Recht zu wissen, was los ist.»
«Das versuchen wir gerade herauszufinden. Wenn Sie jetzt bitte …»
Doch York war noch nicht fertig. Er drohte Gardner mit einem Finger. «Ich habe mich absolut kooperativ verhalten! Und ich
möchte dafür nicht verantwortlich gemacht werden! Halten Sie in Ihrem Bericht fest, dass Steeple Hill nicht haftbar ist!»
«Haftbar für was?» Gardners Ton war gefährlich ruhig.
«Für alles! Für das!» York deutete aufgebracht auf den Sarg. «Dies ist ein anständiges Unternehmen, ich habe nichts Falsches
getan!»
«Dann müssen Sie sich ja keine Sorgen machen. Danke für Ihre Hilfe, Mr. York. Es wird demnächst jemand vorbeikommen, um mit Ihnen zu sprechen.»
|98| York holte tief Luft und wollte etwas entgegnen, doch der starre Blick des TB I-Agenten hielt ihn davon ab. Wütend
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