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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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presste der Bestatter die Lippen zusammen und stakste davon. Gardner schaute ihm mit einem Blick
     hinterher, mit dem eine Katze einen Vogel belauert, und wandte sich dann an Tom.
    «Und?»
    «Du hast etwas von einem Weißen gesagt, oder?»
    «Richtig. Willis Dexter, sechsunddreißigjähriger Schlosser, gestorben bei einem Autounfall. Komm schon, Tom, was hast du gesehen?»
    Tom lächelte mich schief an. «David hat es bemerkt. Also soll er es dir sagen.»
    Vielen Dank
. Als ich mich wieder zum Sarg umdrehte, spürte ich die Blicke von Gardner und Jacobsen. «Schauen Sie sich die Nase an», bat
     ich sie. Das Gewebe war weggefault, sodass nur noch ein dreieckiges, mit Knorpelresten durchzogenes Loch übrig geblieben war.
     «Sehen Sie den unteren Rand der Nasenöffnung, der an den Oberkiefer stößt? Dort müsste eigentlich ein Übergang sein, ein hervorstehender,
     spitzer Kammknochen. Aber er fehlt hier, die Nasenöffnung geht direkt in den Knochen darunter über. Außerdem ist die Nasenform
     bezeichnend. Sie hat einen flachen und breiten Rücken, und auch die Öffnung ist ziemlich breit.»
    Gardner fluchte leise. «Sicher?», fragte er, eher an Tom als an mich gerichtet.
    «Leider.» Tom schnalzte verärgert mit der Zunge. «Es wäre mir auch aufgefallen, wenn ich genau hingeschaut hätte. Jedes einzelne
     Schädelmerkmal liefert schon für sich allein einen ziemlich genauen Hinweis auf die Herkunft. Wenn wir sie alle zusammennehmen,
     gibt es kaum einen Zweifel.»
    «Zweifel worüber?», fragte Jacobsen verwirrt.
    |99| «Dieser Kammknochen, den David erwähnt hat, ist eine anatomische Charakteristik der Weißen», erklärte ihr Tom. «Dieser Typ
     hat keinen.»
    Jacobsen runzelte die Stirn, als sie verstand. «Sie meinen, er ist schwarz? Aber ich dachte, Willis Dexter wäre ein Weißer.»
    Gardner seufzte gereizt. «Stimmt.» Er starrte auf die Leiche im Sarg, als hätte sie ihn enttäuscht. «Das ist nicht Willis
     Dexter.»

[ Navigation ]
    |100| KAPITEL 7
    Die Sonne strahlte vom Himmel und spiegelte sich in den Fenstern und Karosserien der anderen Fahrzeuge auf dem Highway. Obwohl
     es noch nicht Mittag war, flimmerte die Luft über dem Asphalt vor Hitze und Abgasen. Vor uns gab es einen Stau, und der Verkehr
     musste im Schneckentempo an den Kranken- und Polizeiwagen vorbeifahren, die eine Spur blockierten. Schräg davor stand ein
     neuer Lexus, dessen Heck unbeschädigt und schnittig aussah, der vorne aber total eingedellt war. Ein Stückchen weiter lag
     ein Haufen aus verbeulten Motorteilen, Chrom und Gummi, der einmal ein Motorrad gewesen war. Die Flecken auf dem Straßenbelag
     hätten Öl sein können, waren es aber wahrscheinlich nicht.
    Als wir daran vorbeikrochen, mit steinerner Miene von einem Polizisten weitergewinkt, sah ich, wie sich auf einer Brücke über
     dem Highway Schaulustige versammelten und über das Geländer beugten, um das Schauspiel unten zu beobachten. Dann löste sich
     der Stau auf, und der Verkehr nahm wieder seinen üblichen Fluss auf, als wäre nichts geschehen.
    Auf der Rückfahrt vom Friedhof schien Tom wieder fast der Alte zu sein. Ich kannte dieses Funkeln in seinen Augen und wusste,
     dass es nur bedeuten konnte, wie sehr ihn die letzte Wendung des Falles fesselte. Erst stammten die Fingerabdrücke |101| am Tatort von einem Toten, nun wurde in dessen Grab eine andere Leiche gefunden. Solche Rätsel liebte er.
    «Sieht langsam so aus, als wären die Berichte von Willis Dexters Ableben ein bisschen verfrüht gewesen, was meinst du?», sagte
     er und trommelte mit den Fingern im Rhythmus zu einem Dizzy-Gillespie-Stück auf das Lenkrad. «Wenn man es schafft, den eigenen
     Tod zu fingieren, hat man ein bombensicheres Alibi.»
    Ich war mit den Gedanken abgeschweift und musste mich erst wieder auf die Sache konzentrieren. «Und wer liegt deiner Meinung
     nach im Sarg? Ein weiteres Opfer?»
    «Ich werde keine voreiligen Schlüsse ziehen, ehe wir die Todesursache kennen, aber ich würde sagen, ja. Es ist natürlich auch
     möglich, dass ein Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens die Leichen aus Versehen vertauscht hat, aber unter diesen Umständen
     halte ich das eher für unwahrscheinlich. Nein, ich gebe es zwar nicht gern zu, aber ich glaube, Irving hatte recht damit,
     dass wir es mit einem Serienmörder zu tun haben.» Er warf mir einen Blick zu. «Was?»
    «Nichts.»
    Er lächelte. «Du würdest einen miesen Schauspieler abgeben, David.»
    Normalerweise hätte ich es

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