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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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mehr denn je darüber, dass ich sein Angebot, ihm bei der Ermittlung zu helfen, angenommen hatte. Er hatte
     gesagt, dass es unsere letzte Gelegenheit wäre, zusammenzuarbeiten, aber ich hätte nie daran gedacht, dass es auch seine letzte
     Ermittlung sein würde. Und ich fragte mich, ob es ihm in dem Moment bewusst gewesen war.
    Als ich kurz nach Mitternacht zurück in mein Hotel fuhr, ärgerte ich mich darüber, dass ich sein Angebot nicht genügend zu
     schätzen gewusst hatte. Jetzt beschloss ich, alle verbliebenen Zweifel beiseitezuschieben und die Arbeit mit Tom zu genießen,
     solange sie noch währte. Noch ein oder zwei Tage, dann würde alles vorbei sein.
    |182| Jedenfalls dachte ich das. Ich hätte klüger sein müssen.
    Am nächsten Tag wurde eine weitere Leiche gefunden.
     
    Langsam und wie von Geisterhand setzen sich die Bilder auf
dem leeren Papier zusammen. Im blutroten Licht der Lampe
wartest du den richtigen Moment ab, nimmst dann den Kontaktbogen
aus dem Entwicklerbecken, tauchst ihn kurz ins
Stoppbad und legst ihn schließlich in den Fixierer.
    So. Perfekt.
Du bist dir dessen zwar kaum bewusst, aber
du pfeifst leise vor dich hin, ein fast lautloses Ausatmen ohne
bestimmte Melodie. So beengt sie auch ist, du liebst es, in der
Dunkelkammer zu sein. Sie erinnert dich an eine Mönchszelle
; eine friedliche, meditative und abgeschlossene Welt für
sich. Eingehüllt in das transformierende, dunkelrote Licht der
Kammer, fühlst du dich von allem losgelöst und kannst dich
voll und ganz darauf konzentrieren, die in dem glänzenden
Fotopapier verborgenen Bilder zum Leben zu erwecken.
    Und so sollte es auch sein. Dein Spiel mit dem TBI, das
ihre sogenannten Experten wie die blinden Hühner im Kreise
laufen lässt, ist zwar eine willkommene Abwechslung und
schmeichelt deinem Ego. Gott weiß, dass du diese Freude verdienst
nach all den Opfern, die du gebracht hast. Aber du
darfst nie vergessen, dass das nur eine Ablenkung ist. Die
Hauptsache, die wirkliche Arbeit, findet in dieser kleinen
Kammer statt.
    Es gibt nichts Wichtigeres.
    Um in dieses Stadium zu kommen, hat es Jahre gebraucht,
in denen du durch ständiges Ausprobieren gelernt hast. Deine
erste Kamera stammte aus einem Pfandhaus, eine alte Kodak
Instamatic. Damals warst du noch zu unerfahren, um zu
wissen, dass sie für deine Bedürfnisse völlig ungeeignet war.
Sie konnte den Moment festhalten, aber mehr als Schnappschüsse
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waren damit nicht möglich. Sie war unzuverlässig,
zu langsam, und die Bilder waren nicht scharf genug. Sie bot
nicht annähernd die Präzision, die Kontrolle, die du wolltest.
    Seitdem hast du andere Apparate ausprobiert. Eine Zeitlang
warst du Feuer und Flamme für Digitalkameras, die zwar
bequem zu handhaben waren, deren Bildern aber – und hier
musst du lächeln – nicht die Seele des Filmmaterials haben.
Pixel haben keine Tiefe und nicht die Wirkung, die du suchst.
Ganz gleich, wie hoch die Auflösung ist, wie natürlich die
Farben, sie bieten nur eine impressionistische Annäherung
an das Objekt. Film dagegen fängt etwas vom Wesen des Objekts
ein, eine Übertragung, die über den chemischen Prozess
hinausgeht. Ein echtes Foto wird durch Licht geschaffen, ganz
einfach. Ein Pinsel aus Photonen hinterlässt seine Spuren auf
der Leinwand des Filmmaterials. Es gibt eine physische Verbindung
zwischen Fotograf und Objekt, die gutes Urteilsvermögen
und Können erfordert. Zu lange im Entwicklerbad,
und das Bild ist ruiniert. Nicht lange genug, und es ist ein
blasses, uneingelöstes Versprechen. Ja, Film bedeutet unbestreitbar
mehr Probleme, mehr Anstrengung.
    Aber niemand hat behauptet, dass eine Suche einfach ist.
    Denn das ist es, eine Suche. Die Suche nach deinem persönlichen
heiligen Gral, nur dass du ganz genau weißt, dass
du nach etwas Existierendem suchst. Du hast es gesehen.
Und was man einmal gesehen hat, kann man wieder sehen.
    Mit der gewohnten Unruhe nimmst du den tropfenden
Kontaktbogen aus dem Fixierbad – vorsichtig, denn du hast
dir die Flüssigkeit schon einmal ins Auge gespritzt – und
spülst ihn unter kaltem Wasser ab. Jetzt kommt der Moment
der Wahrheit. Der Mann war reif und bereit gewesen, als
du zurückgekommen bist. Die Angst und das Warten haben
ihn bis in die Haarspitzen wachsam gemacht, das ist immer
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so. Obwohl du versuchst, dir nicht zu große Hoffnungen zu
machen, bist du wie immer aufgeregt, als du den glänzenden
Bogen betrachtest. Doch die Freude vergeht dir schnell, als
du

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