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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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die kleinen Bilder der Reihe nach untersuchst.
    Verschwommen. Nein. Nein.
    Nutzlos!
    In einem plötzlichen Wutanfall reißt du den Kontaktbogen
entzwei und wirfst ihn weg. Du holst mit der Hand aus und
schleuderst die Entwicklerschalen zu Boden, dass die Chemikalien
nur so umherspritzen. Du hebst die Hand, um auch
die vollen Flaschen vom Regal zu fegen, hältst dann aber
inne. Mit geballten Fäusten und schwer atmend stehst du in
der Dunkelkammer und versuchst dich zu beherrschen.
    Als du die Unordnung betrachtest, legt sich deine Wut.
Apathisch bückst du dich, um den zerrissenen Bogen aufzuheben
, sparst dir dann aber die Mühe. Es kann warten. Die
chemischen Ausdünstungen sind unerträglich, außerdem ist
dir etwas Flüssigkeit auf den nackten Arm gespritzt. Es beginnt
bereits zu jucken, und du weißt aus Erfahrung, dass es
bald brennen wird, wenn du es nicht abspülst.
    Als du die Dunkelkammer verlässt, bist du schon ruhiger,
die Enttäuschung verfliegt langsam. Mittlerweile bist du daran
gewöhnt, außerdem hast du keine Zeit, lange zu grollen.
Du hast zu viel zu tun, du musst eine Menge vorbereiten. Bei
dem Gedanken daran wird dein Schritt wieder leichter. Fehlschläge
sind immer frustrierend, aber du darfst dich davon
nicht unterkriegen lassen.
    Es gibt immer ein nächstes Mal.

[ Navigation ]
    |185| KAPITEL 11
    Bevor ich am nächsten Morgen das Hotel verließ, rief mich Tom an. «Das TBI hat auf dem Gelände von Steeple Hill menschliche
     Leichenteile gefunden.» Er hielt inne. «Sie sind nicht vergraben worden.»
    Um nicht mit zwei Autos fahren zu müssen, kam er zum Hotel und holte mich ab. Dieses Mal gab es keine Diskussion darüber,
     ob ich ihn begleiten sollte, nur eine stillschweigende Übereinkunft, dass es besser wäre, wenn er die Arbeit nicht allein
     auf sich nahm. Ich hatte mich gefragt, in welcher Stimmung er nach dem vergangenen Abend sein würde und ob er es bedauerte,
     seinen Ruhestand angekündigt zu haben. Wenn das so war, dann verbarg er es gut.
    «Und   … wie fühlst du dich?», fragte ich, als wir uns auf den Weg machten.
    Er zog eine Schulter hoch. «Der Ruhestand ist nicht das Ende der Welt. Das Leben geht weiter, oder?»
    Ich stimmte ihm zu.
    Dieses Mal war die Sonne schon aufgegangen, als wir uns dem abgeblätterten Tor von Steeple Hill näherten. Die dichten, an
     die Grünflächen grenzenden Kiefernwälder sahen jedoch so undurchdringlich aus, dass man den Eindruck gewinnen konnte, zwischen
     ihren enggepflanzten Stämmen wäre noch Nacht.
    Vor dem Friedhofstor standen uniformierte Polizeibeamte, |186| die den Pressevertretern, die sich bereits draußen versammelt hatten, den Zutritt verwehrten. Offenbar war das Gerücht durchgesickert,
     dass etwas entdeckt worden war. Direkt auf die Exhumierung folgend, war die Nachricht bei den sensationshungrigen Medien wie
     eine Bombe eingeschlagen. Als Tom abbremste, um seinen Ausweis zu zeigen, ging ein Fotograf in die Hocke und fotografierte
     uns durch das Autofenster.
    «Für zehn Dollar kann er mein Autogramm kriegen», brummte Tom und fuhr durchs Tor.
    Wir fuhren an dem Grab vorbei, das wir beim letzten Mal exhumiert hatten, und auf das Hauptgebäude zu. Die Kapelle von Steeple
     Hill war dem Äußeren nach in den sechziger Jahren gebaut worden, als der amerikanische Optimismus sogar die Bestattungsindustrie
     angesteckt hatte. Der einstöckige Flachdachbau war ein billiger Versuch, dem Modernismus und der Architektur von Frank Lloyd
     Wright nachzueifern, was allerdings jämmerlich gescheitert war. Die farbigen Glasbausteine, aus der eine Wand neben dem Eingang
     bestand, waren schmutzig und gesprungen, und die Proportionen stimmten irgendwie nicht, auch wenn ich nicht genau sagen konnte,
     in welcher Weise. Auf dem Flachdach thronte ein Turm, der dort so unpassend aussah wie ein Hexenhut auf einem Tisch. Auf seiner
     Spitze war ein Metallkreuz aus zwei rostigen, schlecht zusammengeschweißten Stahlträgern montiert worden.
    Gardner stand vor der Kapelle und sprach mit einer Gruppe Agenten der Spurensicherung in verschmutzten weißen Overalls. Als
     er uns sah, kam er zu uns.
    «Es ist auf der Rückseite», sagte er ohne Vorrede.
    Als wir ihm um die Kapelle herum folgten, fing es plötzlich wie aus dem Nichts zu regnen an, und die Luft wurde mit silbrigen
     Tropfen erfüllt. Nachdem der Schauer so schnell aufhörte, wie er begonnen hatte, glitzerten winzige Regenbogenprismen |187| auf dem Rasen und dem Unterholz. Gardner führte

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