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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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sowieso nicht viel länger weitermachen können.» Ein Lichtreflex funkelte auf Toms Brillengläsern,
     als er hinter dem Schreibtisch aufstand. «Vielleicht wollte er sich lieber mit einem Knall verabschieden.»
    Oder vielleicht ist er nur ein weiteres Opfer.
Aber ich behielt diesen Gedanken für mich.
     
    Es wurde gerade dunkel, als ich in die ruhige, von Bäumen gesäumte Straße bog, in der Tom und Mary wohnten. Wenn ich nicht
     zum Abendessen eingeladen gewesen wäre, hätte ich wieder bis in die Nacht gearbeitet, und nach den Unterbrechungen |174| des Tages war ich frustriert gewesen, die Arbeit liegenlassen zu müssen. Aber nicht lange. Sobald ich aus dem Leichenschauhaus
     in den sonnigen Abend trat, spürte ich, wie meine Anspannung nachließ. Bis dahin hatte ich sie gar nicht richtig wahrgenommen,
     doch Irvings Verschwinden, einen Tag nachdem Kyle verletzt worden war, hatte mich mehr erschüttert, als ich gedacht hatte.
     Und jetzt stimulierte mich die Aussicht auf ein paar Drinks und ein gutes Essen mit Freunden.
    Die Liebermans wohnten in einem hübschen, weißgestrichenen Holzhaus, das ein gutes Stück von der Straße zurückgesetzt war.
     Seit ich das erste Mal hier gewesen war, schien sich, abgesehen von der majestätischen alten Eiche, die den Vordergarten dominierte,
     nichts verändert zu haben. Bei meinem letzten Besuch war sie in der Blüte ihrer Jahre gewesen, nun hatte langsamer Verfall
     eingesetzt, sodass die Hälfte des ausgedehnten Astwerks tot und kahl war.
    Mary begrüßte mich an der Tür. «David! Schön, dass du gekommen bist», sagte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste
     mich auf die Wange.
    Ihr sah man das Alter nicht so sehr an wie ihrem Mann. Das rotblonde Haar war etwas heller geworden, hatte aber seine natürliche
     Farbe behalten, und obwohl auch ihr Gesicht Falten hatte, strotzte es vor Gesundheit. Nicht viele Frauen über sechzig können
     es sich erlauben, Jeans zu tragen, doch Mary war eine davon.
    «Danke, wie lieb von dir», sagte sie, als sie die Flasche Wein nahm, die ich mitgebracht hatte. «Komm mit ins Wohnzimmer.
     Sam und Paul sind noch nicht da, und Tom telefoniert gerade mit Robert.»
    Robert war das einzige Kind der beiden. Er arbeitete für eine Versicherungsgesellschaft und lebte in New York. Ich |175| hatte ihn nie kennengelernt, und Tom redete nicht viel über ihn, aber ich hatte den Eindruck, dass sie kein einfaches Verhältnis
     hatten.
    «Du siehst gut aus», sagte sie, als sie mich durch den Flur führte. «Viel besser als letzte Woche.»
    An meinem ersten Abend hatte ich mit ihnen zu Abend gegessen. Es schien bereits eine Ewigkeit her zu sein. «Muss an der Sonne
     liegen», sagte ich.
    «Was es auch ist, es bekommt dir.»
    Sie machte die Tür zum Wohnzimmer auf. Eigentlich war es ein alter Wintergarten voller Heilpflanzen und gepolsterter Rattanstühle.
     In einem davon ließ sie mich Platz nehmen, gab mir ein Bier und entschuldigte sich dann, weil sie sich ums Essen kümmern musste.
    Die Wintergartenfenster zeigten hinaus auf den hinteren Garten. In der Dunkelheit konnte ich gerade noch die großen Umrisse
     der Bäume erkennen, die sich vor den gelblichen Lichtern des Nachbarhauses abhoben. Es war eine gute Gegend.Tom hatte mir
     einmal erzählt, dass er und Mary sich fast finanziell ruiniert hätten, um das halbverfallene Haus in den siebziger Jahren
     zu kaufen, ohne es jemals bereut zu haben.
    Als ich an dem kalten Bier nippte, spürte ich, wie ich mich noch mehr entspannte. Ich legte meinen Kopf zurück und dachte
     daran, was geschehen war. Es war erneut ein zerrissener Tag gewesen, da mich erst die Nachrichten über Irving und dann der
     Besuch von Gardner und Jacobsen von der eigentlichen Arbeit abgehalten hatten. Am späten Nachmittag hatte es durch das Eintreffen
     der Analysen von Terry Loomis’ Gewebeproben eine weitere Ablenkung gegeben. Tom war mit den Ergebnissen in den Autopsiesaal
     gekommen, in dem ich die Überreste des Opfers aus dem Sarg bearbeitet hatte.
    |176| «Tja, wir haben uns geirrt», hatte er ohne Vorrede erklärt. «Nach meinen Berechnungen bestätigt der Todeszeitpunkt die Geschichte
     des Hüttenvermieters. Loomis ist erst seit fünf Tagen tot gewesen und nicht seit sieben, wie wir dachten. Hier, schau selbst
     nach.»
    Er reichte mir ein Blatt mit Diagrammen. Ein kurzer Blick sagte mir, dass er recht hatte, aber Tom unterliefen bei solchen
     Dingen auch keine Fehler.
    «Scheint zu stimmen», sagte ich

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