Leichenblässe
ungern, aber Dr. Hicks hat nicht ganz unrecht», sagte Jacobsen und riss mich aus meinen Gedanken. «Dr. Lieberman ist ein autorisierter Berater des TBI. Sie nicht.»
«Ich kenne mich mit der Arbeit an Tatorten aus», entgegnete ich gereizt.
«Dessen bin ich mir sicher, aber es geht hier nicht um Ihre |204| Fähigkeiten. Wenn dieser Fall vor Gericht kommt, können wir es uns nicht erlauben, dass ein Verteidiger uns vorwirft, wir
hätten die Richtlinien nicht eingehalten.» Sie drehte sich zu mir um und sah mich mit ihren grauen Augen offen an. «Das müsste
Ihnen klar sein.»
Ich spürte, wie meine selbstgerechte Wut verebbte. Sie hatte recht. Und es stand mehr auf dem Spiel als mein Stolz.
«Dr. Lieberman ist krank, nicht wahr?»
Die Frage überrumpelte mich. «Wie kommen Sie darauf?»
Jacobsen konzentrierte sich wieder auf die Straße. «Mein Vater hatte Herzprobleme. Er sah genauso aus.»
«Wie geht es ihm?», fragte ich.
«Er ist gestorben.»
«Das tut mir leid.»
«Es ist Jahre her», sagte sie und beendete damit das Thema.
Obwohl sie wieder eine reglose Miene aufgesetzt hatte, hatte ich das Gefühl, dass sie selbst diese knappe persönliche Bemerkung
bereute. Wieder fiel mir auf, wie attraktiv sie war. Es war mir natürlich die ganze Zeit bewusst gewesen, aber nur auf eine
theoretische Weise, so wie man die Form und Beschaffenheit einer Marmorstatue bewunderte.
Doch jetzt, in der Enge des Wagens, nahm ich sie anders wahr. Sie hatte ihr Sakko ausgezogen, und die kurzärmelige Bluse brachte
ihre gebräunten, muskulösen Arme zur Geltung. Zu dem eleganten Kostüm wirkte die Waffe an ihrem Gürtel wie ein Fremdkörper.
Am meisten aber nahm mich das Rascheln ihres Rocks gefangen, wenn sie auf die Pedale trat, und der frische, reine Duft ihrer
Haut, der zu schwach war, um von einem Parfüm zu stammen.
Die Beachtung, die ich ihr plötzlich schenkte, irritierte mich. Ich wandte meinen Blick von den vollen Lippen und |205| zwang mich, nach vorn auf die Straße zu starren. Jacobsen würde mir wahrscheinlich den Arm brechen, wenn sie wüsste, was ich
dachte.
Oder dich erschießen
.
«Gibt es schon Neuigkeiten über Irving?», fragte ich, um auf andere Gedanken zu kommen.
«Wir suchen ihn noch.»
Mit anderen Worten, nein
. «Dr. Lieberman sagt, dass die Leichenteile im Wald wahrscheinlich von Willis Dexter stammen», sagte sie wieder ganz sachlich.
«Es sieht so aus.» Ich beschrieb die Frakturen des Schädels und wie sie mit den Verletzungen übereinstimmten, die sich Dexter
bei seinem Unfall zugezogen haben musste. «Auf jeden Fall passt alles zusammen. Der Täter hat die Leichen vertauscht und dann
die von Dexter im Wald abgelegt, wo man sie wahrscheinlich nie gefunden hätte, wenn das Gelände nicht durchsucht worden wäre.»
«Aber der Täter muss gewusst haben, dass eine Durchsuchung stattfinden wird, sobald wir die falsche Leiche im Grab entdeckt
haben. Also wollte er offenbar, dass wir auch sie finden.»
Erst Loomis, dann die unidentifizierte Leiche im Sarg, nun Dexter. Eine Spur aus Leichen, von der jede zur nächsten führte.
«Es muss jemand sein, der in Steeple Hill ein und aus gehen konnte», sagte ich. «Sind Sie schon mit der Suche nach diesem
Dwight Chambers weitergekommen, von dem York behauptet, dass er dort angestellt war?»
«Wir arbeiten noch daran.» Jacobsen bremste ab und blieb vor einer roten Ampel stehen. «Sind Sie sicher, dass die Zähne, die
Sie gesehen haben, von einem Schwein stammen?»
«Absolut sicher.»
«Und Sie glauben, dass die absichtlich dort platziert wurden?»
«Warum sollten sie sonst dort sein? Sie lagen oberhalb |206| des Brustkorbs, genau an der Stelle, wo der Schädel gewesen sein muss, bevor sich Aasfresser über die Leiche hergemacht haben.
Keiner der Zähne war jedoch in irgendeiner Form beschädigt. Wenn Zahnfleisch an ihnen gewesen wäre, wäre es von Nagern abgeknabbert
worden, und diese Spuren würde man sehen. So aber muss man davon ausgehen, dass die Zähne bereits gesäubert waren, als sie
dort hingelegt wurden.»
Zwischen Jacobsens Augen hatte sich eine kleine Furche gebildet. «Aber wozu das Ganze?»
«Fragen Sie nicht mich. Vielleicht wollte der Täter einfach wieder prahlen.»
«Ich kann nicht ganz folgen. Ist es Prahlerei, Schweinezähne in den Wald zu legen?»
«Die vorderen Backenzähne von Schweinen unterscheiden sich kaum von menschlichen Backenzähnen.Wenn man nicht weiß, was man
Weitere Kostenlose Bücher