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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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sucht, kann man sie leicht verwechseln.»
    Die Furche auf Jacobsens Stirn verschwand. «Der Mörder lässt uns also wissen, dass er sich mit solchen Details auskennt. Ähnlich
     wie bei den Fingerabdrücken an den Tatorten. Er stellt uns nicht nur auf die Probe, er zeigt uns damit, wie klug er ist.»
    Sie zuckte zusammen, als hinter uns eine Hupe ertönte, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Ampel auf Grün gesprungen
     war. Nervös fuhr sie weiter. Ich schaute aus dem Fenster, damit sie mein Lächeln nicht sehen konnte.
    «Es hört sich so an, als hätte er ziemlich spezielles Wissen. Wer kennt sich mit solchen Dingen aus?», fragte sie und klang
     wieder so beherrscht wie üblich.
    «Das ist kein Geheimnis. Jeder mit   …»
    Ich verstummte.
    «Mit einem forensischen Hintergrund?», beendete Jacobsen den Satz für mich.
    |207| «Genau», gab ich zu.
    «Wie zum Beispiel forensische Anthropologie?»
    «Oder forensische Archäologie oder Pathologie. Oder eine andere der zahlreichen forensischen Wissenschaften. Jeder, der sich
     die Mühe macht, ein Lehrbuch anzuschauen, kann solche Informationen finden. Das heißt noch lange nicht, dass man jetzt Leute
     verdächtigen muss, die in diesem Bereich arbeiten.»
    «Ich habe niemanden verdächtigt.»
    Die Stille, die daraufhin entstand, war alles andere als angenehm. Ich überlegte, wie ich sie durchbrechen konnte, aber Jacobsen
     strahlte eine Aura aus, in der Smalltalk undenkbar war. Erschöpft und müde starrte ich aus dem Fenster. Der Verkehr strömte
     vorbei, eine in der Nachmittagssonne glitzernde Blechlawine.
    «Sie halten nicht viel von Psychologie, oder?», fragte sie plötzlich.
    Ich wünschte, ich hätte nichts gesagt, aber jetzt konnte ich mich nicht drücken. «Ich finde, dass man sich manchmal zu sehr
     darauf verlässt. Sie ist ein nützliches Hilfsmittel, aber nicht unfehlbar. Das hat man an Irvings Profil gesehen.»
    Sie hob ihr Kinn. «Professor Irving hat sich davon ablenken lassen, dass beide Opfer männlich und nackt waren.»
    «Sie halten das nicht für wichtig?»
    «Nicht die Tatsache, dass sie männlich waren, nein. Und ich glaube, Sie und Dr.   Lieberman haben schon erkannt, warum sie nackt waren.»
    Das verwirrte mich, aber nur für einen Augenblick. «Eine nackte Leiche verwest schneller als eine bekleidete», sagte ich,
     verärgert darüber, dass ich nicht schon eher darauf gekommen war.
    Sie nickte. Ihr schien genauso wie mir daran gelegen zu |208| sein, die kurze Phase der Verlegenheit zu umschiffen. «Und sowohl Terry Loomis’ Leiche als auch die exhumierten Überreste
     waren stärker verwest, als sie hätten sein sollen. Die Vermutung liegt also nahe, dass beide aus ähnlichen Gründen unbekleidet
     waren.»
    Eine weitere Gelegenheit für den Mörder, Verwirrung
zu stiften und seine Gerissenheit zu demonstrieren
. «Die exhumierte Leiche musste sowieso ausgezogen werden, um die Nadeln zu deponieren», sagte ich. «Und danach wäre es zu
     riskant gewesen, sie mehr als nötig anzufassen. Auf jeden Fall hätte man sie kaum wieder anziehen können, ohne sich zu verletzen.
     Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass alle Opfer männlich waren.»
    «Sie meinen die, von denen wir wissen.»
    «Glauben Sie, dass es weitere Opfer gibt, die noch nicht gefunden worden sind?»
    Zuerst dachte ich, ich wäre zu weit gegangen. Jacobsen antwortete nicht, und ich erinnerte mich daran, dass sie auch nicht
     antworten musste. Ich hatte mit der Ermittlung nichts mehr zu tun.
Gewöhn dich daran. Jetzt bist du nur noch Tourist
.
    Doch als ich die Frage gerade zurückziehen wollte, schien sie zu einer Entscheidung gelangt zu sein. «Das ist jetzt reine
     Spekulation, aber ich muss Professor Irving in einer Sache recht geben: Wir haben nur die Opfer gefunden, die wir finden sollten.
     Das Ausmaß an Brutalität und das unglaubliche Selbstvertrauen, das der Mörder in seinen Taten zeigt, deuten darauf hin, dass
     es höchstwahrscheinlich weitere gibt. Niemand legt eine solche   …
Raffinesse
, sage ich jetzt mal, an den Tag, wenn er noch am Anfang steht.»
    Das war mir noch nicht in den Sinn gekommen. Es war ein verstörender Gedanke.
    |209| Als nach einer Kurve die Sonne direkt von vorn kam, klappte Jacobsen die Sonnenblende herunter. «Welchen Plan der Mörder auch
     immer verfolgt, ich glaube nicht, dass die physischen Merkmale seiner Opfer dabei eine Rolle spielen», fuhr sie fort. «Wir
     haben einen sechsunddreißig Jahre alten weißen

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