Leichendieb
weiß, dass der Unfall dort in der Nähe passiert ist. Und er steckt in Schwierigkeiten. Ist arbeitslos, hat kein Geld. Er kennt die Berabas. Wer kennt sie nicht? Reiche Leute aus der Stadt. Und dann, während die Sonne ihm das Hirn versengt, heckt er einen außergewöhnlichen Plan aus.
Nackt auf meinem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, starrte Sulamita mich unverwandt an und lauschte.
Das Gefängnis ist voller Leute mit außergewöhnlichen Plänen, sagte sie.
Stell dir vor, fuhr ich fort, dass der Angler die Leiche birgt und sie, ohne jemandem etwas davon zu sagen, irgendwo vergräbt. Jetzt kommt ein Zeitsprung, wie im Film. Drei Monate später hat die Polizei die Suche bereits eingestellt, und die Lage hat sich beruhigt. Was tut der Angler? Er ruft die Familie Beraba an und sagt: Ich habe die Leiche Ihres Sohnes. Wenn Sie ihn beerdigen wollen, müssen Sie mir allerdings zweihunderttausend Dollar zahlen. Und legt auf.
Und? Werden sie zahlen?, fragte Sulamita.
Ich garantiere dir, sie werden jede Summe zahlen. Hast du noch nie gehört: Der Mensch wird erst dann zum Menschen, wenn er seine Toten beerdigt? Das ist nur allzu wahr. Keine Kultur ohne Bestattungsrituale. Ohne Beerdigungen. Ohne sie verkommen wir wieder zu Höhlenmenschen. Ohne sie erweist man dem Verstorbenen, seinem Andenken, keine Ehre,keine Anerkennung, man hat kein Grabmal, das man besuchen kann. Wir werden gewissermaßen zu Zombies, wenn wir unsere Toten einfach auf der Erde liegen und verwesen lassen. Für den Einzelnen ist es noch tragischer. Ich erinnere mich an einen Allerseelentag, als ich meine Mutter weinend in der Küche vorfand und sie zu mir sagte: Wenn es doch wenigstens ein Grab gäbe, das wir besuchen könnten. Meine Mutter litt nicht, weil mein Vater gestorben war. Sie litt, weil sie seinen Tod nicht schwarz auf weiß hatte.
Und werden sie nicht die Polizei einschalten?
Nein. Dona Lu wird alles tun, um die Leiche zu bekommen.
Du bist ja sehr optimistisch.
Die Toten bringen die Lebenden um, antwortete ich, hast du das noch nie gehört?
Und du hast viele Sprüche auf Lager.
Weißt du, was er bedeutet? Solange wir unsere Toten nicht beerdigen, leben sie weiter und bringen uns um. Das bedeutet dieser Satz. Sie bringen uns um, indem sie uns ins Gewissen hämmern, wir hätten unseren Part nicht erfüllt. Wir lassen nicht zu, dass sie wieder zu Staub werden. Es sind nicht nur wir, die Lebenden, die die Toten beerdigen wollen. Auch die Toten wollen sich von unserer Welt frei machen.
Ich erklärte ihr noch, dass ich Dona Lu sehr gern hatte, wirklich gern. Glaub mir, sagte ich, wir tun ihr oder ihrer Familie überhaupt nichts Böses, wir werden ihr nur die Gelegenheit geben, ihren Sohn zu begraben. Und du kannst darauf wetten, zweihunderttausend Dollar bedeuten für diese Leute gar nichts. Das ist vermutlich der Wert einer einzigen Milchkuh, und sie haben Tausende davon. Wir schlagen gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Sie bekommt den Leichnam ihresSohnes, ich meine fünfzigtausend Dollar, und du verwirklichst deinen Traum, verlässt das Leichenschauhaus und bekommst deine Fazenda. Ganz für dich allein.
Unseren Traum, sagte sie.
Natürlich. Unser Projekt. Von dem Lösegeld bezahle ich Ramírez, und wir kaufen uns eine Fazenda.
Wirst du bluffen oder den Berabas die Leiche liefern?
Das ist dein Part. Wir müssen eine Leiche auftreiben.
Hm. Ich verstehe.
Ich würde Dona Lu sehr gerne helfen, ihren Traum zu verwirklichen. Ihren Sohn zu beerdigen. Glaub mir, sie träumt von diesem Tag. Dona Lu ist ein sehr guter Mensch. Du wirst sie mögen.
Wir schwiegen eine Weile, und dann fragte ich Sulamita, ob sie einen Toten aus dem Leichenschauhaus besorgen könne.
Es gibt eine Ein- und Ausgangskontrolle für die Toten. Einfach ist es nicht.
Ohne Leiche ist unser Plan nichts wert.
Du musst mir eins versprechen, sagte sie. Egal was passiert, wir werden niemanden umbringen.
Wir sind doch keine Mörder.
Ich brauche Zeit zum Nachdenken.
Es muss sich doch irgendwie einrichten lassen.
Aber wir sind keine Mörder.
Natürlich nicht.
Und wenn wir eine Leiche auftreiben, dann ist es nur eine Leiche, sagte Sulamita.
Wie meinst du das?
Es reicht nicht, dass Cäsars Frau ehrlich ist. Sie muss auch ehrlich aussehen.
Wovon redest du? Wer ist Cäsar?
Wir brauchen nicht bloß eine Leiche, irgendeine Leiche. Sie müssen glauben, dass es Júniors Leiche ist. Sie werden eine Garantie verlangen, dass es die Leiche ihres Sohnes ist, die
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