Leichendieb
tägliche Exerzitien, die die Menschen je nach Glauben manchmal christlich oder buddhistisch nennen. Die Schlechtigkeit aber ist uns schon von Geburt an eingeimpft wie ein angeborenes Virus, das nur den passenden Moment abwartet, um in Erscheinung zu treten. Wie sonst hätte ich Sulamitas und mein Verhalten erklären sollen? Sulamita hatte nichts mehr mit der verängstigten Frau von einigen Tagen zuvor zu tun. Sie war es, die an die Kleinigkeiten dachte und die Entscheidungen traf. Vielleicht war genau das der Grund, weshalb mein inneres Funkgerät, diese Stimme in mir, sich jetzt seltener bemerkbar machte. Es meldete sich zwar immer noch, aber lückenhaftund mit Interferenzen. Es lenkte mich nicht. Warnte mich nur. Sulamita war es, die das Kommando hatte.
Aber zurück zum Wesentlichen: Unsere Nächte waren ausgedehnte Wahrscheinlichkeitsstudien. Manchmal war es, als rasten wir frenetisch auf einem Geisterzug dahin, als sei dieser ganze groteske Plan ein makabres Abenteuer. Sulamitas Augen glänzten vor Erregung. Und meine brannten. Wir müssen uns mit jeder Einzelheit beschäftigen, sagte sie immer wieder. Vor allem mit der Leiche. Und mit dem Geld. Ich wachte mitten in der Nacht auf, auch daran musst du denken, erinnerte ich sie. Und daran. Und schlief wieder ein. Und dann weckte sie mich, ein Fehler nur, ein einziger Fehler, und wir sind geliefert, wiederholte sie. Weißt du, es ist wie beim Schachspiel, sagte sie. Und stellte mir Fragen, auf die ich keine Antwort wusste. Die genaue Farbe von Júniors Haar und Augen, Größe, Gewicht, woher soll ich das wissen?, fragte ich. Schachmatt, sagte sie dann. Streng dich an. Ich brauche genaue Informationen. Denk nach. Erinnere dich noch mal. Wie soll ich deiner Ansicht nach eine Leiche auftreiben, wenn ich nicht mal Júniors Körpergröße kenne?
Noch in derselben Nacht, nachdem die Post angekommen war, rief der Angler bei der Familie an. An den beiden darauffolgenden Tagen wiederholten wir die Anrufe zu verschiedenen Uhrzeiten. Sulamita rief ebenfalls ein paarmal während meiner Arbeitszeit an, damit sie keinen Verdacht gegen mich schöpften.
Am Freitag im Morgengrauen rief ich viermal an. Aufgelöst gingen entweder Dona Lu oder Seu José ans Telefon und flehten den Angler an, etwas zu sagen. Sie rufen vom Handy unseres Sohnes aus an, sagten sie.
Der Angler gab keinen Ton von sich, atmete nur. Ein schweres, rhythmisches Atmen, wie von einem geduldigen Tier, das auf den passenden Moment wartet, um anzugreifen, so fühlte ich mich am anderen Ende der Leitung.
Beim letzten Mal verlor Seu José die Beherrschung.
Du Hund, sagte er. Du Wurm. Hurensohn.
Und legte auf.
27
Die Sonne schien durch die Hohlräume zwischen den Asbestschindeln. Und auch an den Seiten, durch die Ritzen, unter der Tür hindurch.
Es war Samstag, und ich lag im Halbschlaf im Bett. Der Ventilator surrte an der Decke, aber ich konnte das Gekicher trotzdem noch hören. Wie knisterndes Feuer. Durch das geriffelte Glas des Fensters sah ich ihre Scheitel. Ich hatte sogar Spaß daran. Vorwitzige Dreikäsehochs. Die Kinder lachten. Tuschelten. Geh die Außentreppe hoch, sagte eines von ihnen. Ich wusste, was sie wollten. Behutsam stand ich auf, riss geräuschvoll das Fenster auf und stieß ein Drohgebrüll aus. Lachend rannten sie davon. Ich wusste, sie würden wiederkommen, in der Erwartung, dass ich den Jux wiederholte.
Draußen war ein heißer Tag. Serafina spritzte mit dem Schlauch in der Hand den Gehweg sauber, ich werde einen frischen Kaffee machen, sagte sie, als sie mich erblickte.
Um acht Uhr rief Sulamita an. Sie war wütend auf ihren Vater, der Alte ist unmöglich, sagte sie, ich habe herausgefunden,dass er den Käfer von unserem Nachbarn gekauft hat. Ich musste das Geschäft wieder rückgängig machen, unglaublich, findest du nicht?
Ich erkundigte mich nach den Vorbereitungen, und sie erklärte, dass alles fertig sei, komm mich abholen, sagte sie.
Als ich das Bad verließ, klopfte Serafina an die Tür und brachte mir eine Tasse Kaffee, zusammen mit einem Briefumschlag ohne Absender. Der ist gestern angekommen, erklärte sie.
Ich bemerkte einen Bluterguss an ihrem Arm.
Was ist passiert?, fragte ich.
Sie lächelte verlegen.
War Eliana das?
Nein, antwortete sie, ohne den Blick abzuwenden. Ich bin gegen den Kleiderschrank gestoßen.
Eliana darf das nicht, verstehst du?
Serafina ging und nahm die leere Kaffeetasse wieder mit.
Ich öffnete den Umschlag und fand darin eine Art
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