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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ich Ihnen versprochen.«
    »Dann bekommen Sie Ihre Belohnung. Und nur dann.«
    »Das will ich hoffen«, erwiderte Porteous, und dann fiel die Tür ins Schloss.
    Rose schlüpfte rasch in einen Durchgang zwischen zwei Häusern und beobachtete von dort aus, wie der Mann aus der Fishery Alley herauskam und direkt an ihr vorbeiging. Sein Gesicht konnte sie nicht erkennen, doch sie sah seine massige Silhouette und hörte seinen pfeifenden Atem in der Kälte. Sie wartete, bis er weit genug weg war; erst dann wagte sie sich aus ihrem Versteck hervor.
    Jetzt habe ich nicht einmal mehr einen armseligen Haufen Stroh, zu dem ich heimkehren kann.
    Fröstelnd stand sie auf der Straße und starrte verzweifelte in die Dunkelheit hinaus, die den Mann verschluckt hatte. Dann machte sie kehrt und ging in die andere Richtung davon.

21
    Gegenwart
     
    Die Strecke war Julia inzwischen vertraut – die gleiche Straße nach Norden, die gleiche Fähre, sogar der gleiche dichte Nebel, der ihr während der Überfahrt nach Islesboro die Sicht nahm. Diesmal aber war sie auf das feuchte Wetter vorbereitet: In Pullover und langen Jeans zog sie ihren kleinen Rollkoffer die ungeteerte Auffahrt von Stonehurst hinauf. Als die verwitterte Fassade plötzlich vor ihr aus dem Nebel auftauchte, hatte sie das merkwürdige Gefühl, dass das Haus sie wie eine Heimkehrerin willkommen hieß – ziemlich erstaunlich angesichts ihrer ersten Begegnung mit dem aufbrausenden Henry. Aber es hatte zwischen ihnen auch herzliche Momente gegeben. Einmal, schon leicht beschwipst vom Wein, hatte sie Henrys wettergegerbtes Gesicht betrachtet und sich gedacht: So griesgrämig er sein kann, hinter dieser mürrischen Miene verbirgt sich eine so tiefe Aufrichtigkeit und Integrität, dass ich einfach weiß, ich kann diesem Mann uneingeschränkt vertrauen.
    Sie schleppte ihren Koffer die Verandastufen hinauf und klopfte an die Tür. Diesmal war sie entschlossen, geduldig zu warten, bis er auftauchte. Als sich nach einer Weile immer noch nichts rührte, drückte sie die Klinke und fand die Haustür unverschlossen. Sie steckte den Kopf hinein und rief: »Henry?« Als keine Antwort kam, trug sie den Koffer über die Schwelle und rief noch einmal die Treppe hinauf: »Henry, ich bin da!«
    Wieder keine Antwort.
    Sie ging in die Bibliothek, wo durch die seeseitigen Fenster das fahle Licht eines weiteren nebelverhangenen Nachmittags
drang. Ihr Blick fiel auf die verstreuten Papiere auf dem Tisch, und ihr erster Gedanke war: Henry, diesmal hast du aber wirklich ein Chaos angerichtet. Dann entdeckte sie den Gehstock, der am Boden lag, und die zwei mageren Beine, die hinter dem Kartonstapel hervorschauten.
    »Henry!«
    Er lag auf der Seite, die Hose mit Urin getränkt. In Panik drehte sie ihn auf den Rücken und beugte sich über ihn, um festzustellen, ob er noch atmete.
    Er schlug die Augen auf. Und flüsterte: »Ich wusste, dass Sie kommen würden.«
     
    »Ich könnte mir vorstellen, dass er eine Herzrhythmusstörung hatte«, sagte Dr. Jarvis. »Ich kann keine Hinweise auf einen Schlaganfall oder einen Infarkt finden, und sein EKG sieht im Moment ganz normal aus.«
    »Im Moment?«, fragte Julia.
    »Das ist das Problem bei Herzrhythmusstörungen. Sie können ohne Vorwarnung einsetzen und wieder verschwinden. Deswegen möchte ich ihn die nächsten vierundzwanzig Stunden noch unter Beobachtung halten, damit wir sehen können, was sein Herz macht.« Jarvis blickte hinüber zu dem geschlossenen Vorhang, der die Sicht auf Henrys Bett verdeckte, und senkte die Stimme. »Aber wir werden alle Hände voll zu tun haben, ihn zu überreden, so lange zu bleiben. Und da kommen Sie dann ins Spiel, Ms. Hamill.«
    »Ich? Aber ich bin doch nur bei ihm zu Gast. Sie müssen mit der Familie reden.«
    »Die habe ich bereits angerufen. Sein Großneffe ist auf dem Weg von Massachusetts hierher, aber er wird frühestens gegen Mitternacht eintreffen. Bis dahin könnten Sie Henry vielleicht dazu überreden, in diesem Bett liegen zu bleiben.«
    »Wo sollte er denn hingehen? Es geht doch keine Fähre mehr.«
    »Ha, glauben Sie wirklich, das könnte Henry aufhalten? Er
würde einfach einen Freund anrufen, der ein Boot hat, und sich von ihm fahren lassen.«
    »Sie scheinen ihn ja recht gut zu kennen.«
    »Das ganze Krankenhaus kennt Henry Page. Ich bin der einzige Arzt, den er noch nicht rausgeschmissen hat.« Jarvis seufzte und klappte die Patientenakte zu. »Und ich bin vielleicht gerade dabei, diesen exklusiven

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