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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Kerze vorsichtig auf dem Boden absetzte. Und Billy hatte auch allen Grund zu solchen Befürchtungen in einem Raum voller Lumpen und Stroh. Erst nachdem Rose sich auf ihr eigenes Bett gesetzt hatte, fügte Norris sich in sein Schicksal und nahm ebenfalls Platz. Von der Decke abgeschirmt in ihrer eigenen Ecke des Zimmers, bildeten die drei einen Kreis um die flackernde Flamme, die flüchtige Schatten auf den Stoff warf.
    »Jetzt erzählen Sie«, forderte sie ihn auf. »Sagen Sie mir, was mit Mary passiert ist.«
    Er starrte in die Flamme. »Ich habe sie gefunden«, sagte er. »Letzte Nacht, am Flussufer. Ich ging gerade über den Krankenhausanger, als ich sie stöhnen hörte. Sie wurde aufgeschlitzt, Miss Connolly, auf die gleiche Art und Weise wie Agnes Poole. Dasselbe Muster, mit einem Messer in ihren Leib geschnitten.«
    »In der Form eines Kreuzes?«
    »Ja.«
    »Gibt Mr. Pratt immer noch den Papisten die Schuld?«
    »Das kann ich mir jetzt kaum noch vorstellen.«
    Sie lachte bitter. »Dann stecken Sie den Kopf in den Sand, Mr. Marshall. Keine Anschuldigung ist so hanebüchen, dass man sie den Iren nicht ins Gesicht schleudern würde.«
    »Im Fall von Mary Robinson sind es aber nicht die Iren, gegen die sich der Verdacht richtet.«
    »Wer sonst könnte diesmal das unglückliche Opfer von Mr. Pratts Verdächtigungen sein?«

    »Ich.«
    In der Stille, die folgte, starrte sie auf die Schatten, die sich auf Norris’ Gesicht zeigten. Billy hatte sich neben seinem Wassereimer zusammengerollt wie eine Katze und war eingenickt; das Stroh am Boden raschelte leise im Rhythmus seines Atems. Der schwindsüchtige Mann in der Ecke hustete immer noch in einem fort, und das feuchte Rasseln seines Atems erinnerte sie daran, dass der Tod stets in der Nähe lauerte.
    »Sie sehen also«, sagte er, »dass ich weiß, wie es ist, zu Unrecht beschuldigt zu werden. Ich weiß, was Sie durchgemacht haben.«
    » Sie wissen das, wie? Aber ich bin es, die jeden Tag ihres Lebens mit Argwohn beäugt wird. Davon haben Sie keine Ahnung.«
    »Miss Connolly, letzte Nacht habe ich dieselbe Kreatur gesehen wie sie, aber niemand glaubt mir. Niemand sonst hat sie gesehen. Und was das Schlimmste ist: Der Hausmeister des Krankenhauses sah mich, wie ich mich über die Leiche beugte. Die Schwestern beäugen mich voller Argwohn, ebenso wie die anderen Studenten. Ich hatte immer nur ein Ziel: Arzt zu werden. Jetzt ist alles, wofür ich gearbeitet habe, in Gefahr, weil so viele an meinem Wort zweifeln. So, wie man auch an Ihrem Wort gezweifelt hat.« Er beugte sich weiter vor, und der Kerzenschein malte gespenstische Schatten auf sein Gesicht. »Sie haben es auch gesehen, dieses Wesen mit dem Cape. Ich muss wissen, ob sie sich an die gleichen Dinge erinnern wie ich.«
    »Ich habe Ihnen an jenem Abend gesagt, was ich gesehen habe. Aber damals haben Sie mir wohl nicht geglaubt.«
    »Zugegeben, Ihre Geschichte klang zu dem Zeitpunkt …«
    »Wie eine Lüge?«
    »Ich würde Sie niemals der Lüge bezichtigen. Ja, ich fand Ihre Schilderung ein wenig abstrus. Sie waren schließlich überreizt und sichtlich zu Tode erschrocken.« Leise fügte er hinzu: »So wie ich letzte Nacht. Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.«

    Sie starrte in die Kerzenflamme und flüsterte: »Es hatte Flügel.«
    »Ein Cape vielleicht. Oder ein dunkler Mantel.«
    »Und sein Gesicht schimmerte weiß.« Sie sah Norris an, und das Spiel von Licht und Schatten auf seinem Gesicht brachte die Erinnerung mit erschreckender Klarheit zurück. »Weiß wie ein Totenschädel. Ist es das, was Sie gesehen haben?«
    »Ich weiß es nicht. Der Mond spiegelte sich im Wasser. Solche Lichtreflexe können das Auge täuschen.«
    Sie presste die Lippen aufeinander. »Ich sage Ihnen, was ich gesehen habe, und Sie kommen mir mit Erklärungen. ›Es war nur die Spiegelung des Mondlichts ‹!«
    »Ich bin ein Mann der Wissenschaft, Miss Connolly. Ich muss immer nach logischen Erklärungen suchen.«
    »Und was ist logisch daran, zwei Frauen zu ermorden?«
    »Vielleicht gar nichts. Vielleicht ist es einfach nur böse.«
    Sie schluckte und sagte leise: »Ich fürchte, er hat mein Gesicht gesehen.«
    Billy stöhnte und wälzte sich auf die andere Seite. Sie betrachtete sein schlafendes Gesicht, so entspannt und unschuldig, und sie dachte: Billy weiß nichts vom Bösen. Er sieht ein Lächeln und versteht nicht, was für finstere Absichten sich dahinter verbergen können.
    Auf der Treppe waren stampfende

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