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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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dachte, es wäre meins, und das ist der einzige Grund, weshalb ich sie geheiratet habe. Aber die Zeit bringt die Wahrheit ans Licht, Rose. Sie hat mir gezeigt, was für eine Frau ich da geheiratet habe.«
    Sie schüttelte den Kopf, wollte es noch immer nicht glauben.
    »Wer immer der Vater ist«, sagte Eben, »er will das Kind. Und er hat so viel Geld, dass er jeden Preis dafür zahlen kann.«
    Genug Geld, um einen Anwalt zu bezahlen. Genug, um seiner Geliebten eine kostbare Halskette zu kaufen. Vielleicht auch genug, um sich Schweigen zu erkaufen. Denn welcher feine Gentleman will schon alle Welt wissen lassen, dass er mit einer armen Näherin, die erst vor einem Jahr aus Irland eingewandert ist, ein Kind gezeugt hat?
    »Nimm das Geld«, sagte Eben.
    Sie stand auf. »Eher verhungere ich, als dass ich sie hergebe.«
    Als sie das Zimmer verließ, folgte er ihr bis zur Haustür. »Du hast kaum eine Wahl! Wie willst du für dein Essen bezahlen? Für ein Dach über dem Kopf?«
    Sie trat hinaus auf die Straße, und er rief ihr nach: »Diesmal haben sie dich noch sanft angefasst, aber nächstes Mal wirst du nicht mehr so viel Glück haben!«
    Zu ihrer Erleichterung folgte Eben ihr nicht. Die Nacht war noch kälter geworden, und sie zitterte, als sie den Weg zurück zur Fishery Alley einschlug. Die Straßen waren menschenleer, und der Wind zog mit unsichtbaren Fingern verschlungene
Furchen in den Schnee vor ihren Füßen. Plötzlich blieb sie stehen und schaute sich um. Hatte sie da gerade Schritte gehört? Sie spähte mit zusammengekniffenen Augen in das dichte Schneetreiben, konnte aber niemanden entdecken, der ihr folgte. Geh nicht zu Meggie heute Nacht; vielleicht sind sie dir auf den Fersen. Mit schnelleren Schritten strebte sie weiter der Fishery Alley zu, nur darauf bedacht, sich so bald wie möglich aus dem schneidenden Wind ins Warme zu retten. Wie töricht war sie doch gewesen, sich von Eben aus der relativen Geborgenheit ihres Logierhauses, so armselig es sein mochte, weglocken zu lassen. Der arme einfältige Billy war ein besserer Mensch, ein treuerer Freund, als Eben es je sein würde.
    Sie tauchte in das Gassengewirr von South Boston ein. Die Kälte hatte alle vernünftigen Leute von den Straßen vertrieben, und als sie an einer Schenke vorbeikam, hörte sie die Stimmen der Männer, die sich dort im Warmen versammelt hatten, um dem Schneetreiben zu entgehen. Durch die beschlagenen Fenster konnte sie ihre Silhouetten vor dem Kaminfeuer ausmachen. Sie hielt sich nicht lange auf, sondern eilte gleich weiter und hoffte nur, dass der alte Porteous und seine Tochter die Tür noch nicht verriegelt hatten. Selbst ihr armseliger Strohhaufen, ihr Fleckchen Boden zwischen all den ungewaschenen Leibern, erschien ihr in dieser Nacht wie ein Luxus, den sie nicht so leichtfertig hätte aufgeben dürfen. Die Geräusche der Schenke verhallten hinter ihr, und sie hörte nur noch das Pfeifen des Windes in dem engen Durchgang und das Rauschen ihres eigenen Atems. Die Fishery Alley war gleich um die nächste Ecke, und wie ein Pferd, das den nahen Stall wittert und weiß, dass es bald im Trockenen sein wird, beschleunigte sie ihren Schritt und wäre fast auf dem glatten Pflaster ausgerutscht. Sie stützte sich an einer Hauswand ab und hatte sich gerade wieder aufgerichtet, als sie das Geräusch hörte.
    Es war ein Räuspern, und es kam aus der Kehle eines Mannes.

    Langsam schob sie sich an der Wand entlang und spähte um die Hausecke in die Fishery Alley. Im ersten Moment sah sie nur Schatten und den schwachen Schein einer Kerze, der aus einem Fenster drang. Dann löste sich die Gestalt eines Mannes aus einem Hauseingang. Er ging in der Gasse auf und ab und klopfte sich auf die Schultern, um sich zu wärmen. Dann räusperte er sich noch einmal, spuckte aufs Pflaster und kehrte wieder zu dem Hauseingang zurück, in dessen Schatten er verschwand.
    Lautlos wich sie von der Ecke zurück. Vielleicht hat der Mann ja nur zu viel getrunken, dachte sie. Vielleicht wird er sich bald auf den Heimweg machen.
    Oder vielleicht hält er Ausschau nach mir.
    Sie wartete mit pochendem Herzen, während die Minuten verstrichen und ihr Rock im Wind flatterte. Wieder hörte sie den Mann husten und ausspucken, dann hämmerte jemand an eine Tür, und sie vernahm Porteous’ Stimme: »Ich hab’s Ihnen doch schon mal gesagt, sie kommt heute Nacht wahrscheinlich nicht mehr zurück.«
    »Wenn sie kommt, geben Sie mir Bescheid. Unverzüglich.«
    »Das habe

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