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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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einmal seinen Namen nennen will?«
    Eben hatte schon wieder die Hand erhoben, um sie für ihre Unverfrorenheit zu bestrafen, als der Engländer dazwischenfuhr: »Es ist nicht nötig, zu roher Gewalt zu greifen, Mr. Tate!«
    »Aber Sie sehen doch, was für eine Sorte Mädchen sie ist! Mit so etwas habe ich mich herumschlagen müssen!«
    Der Engländer trat auf Rose zu und sah sie durchdringend an. »Ich komme nicht von den hiesigen Behörden, wenn Sie das beruhigt.«
    »Und warum stellen Sie mir dann all diese Fragen?«
    »Ich arbeite für einen Klienten, der nicht genannt werden soll. Mein Auftrag ist es, Informationen zu beschaffen. Informationen, die, wie ich fürchte, nur Sie liefern können.«
    Sie lachte ungläubig auf. »Ich bin eine Näherin, Sir. Fragen Sie mich alles über Knöpfe oder Schleifen, und ich habe die Antworten parat. Aber abgesehen davon weiß ich nicht, wie ich Ihnen helfen könnte.«
    »Sie können mir sehr wohl helfen. Sie allein.« Er kam so nahe heran, dass ihr der süßliche Tabakgeruch seines Atems in die Nase stieg. »Wo ist das Kind Ihrer Schwester? Wo ist das Baby?«
    »Er hat sie nicht verdient.« Sie sah Eben von der Seite an. »Was ist das für ein Vater, der auf das Recht an seiner eigenen Tochter verzichtet?«
    »Sagen Sie mir nur, wo sie ist.«
    »Sie ist in Sicherheit und bekommt zu essen. Mehr muss er nicht wissen. Anstatt tief in die Tasche zu greifen, um einen teuren Anwalt zu bezahlen, hätte er besser seiner Tochter Milch und ein warmes Bettchen gekauft.«

    »Das glauben Sie also wirklich? Dass ich von Mr. Tate beauftragt wurde?«
    »Stimmt das denn nicht?«
    Der Engländer lachte verblüfft. »Du lieber Himmel, nein!«, sagte er, und er bemerkte, wie Eben vor Wut rot anlief. »Ich arbeite für einen anderen, Miss Connolly. Jemanden, der sehr daran interessiert ist, das Kind zu finden.« Er beugte sich noch weiter vor, und sie wich zurück, bis sie mit dem Rücken an die Stuhllehne stieß. »Wo ist das Baby?«
    Rose saß da und schwieg, und sie musste plötzlich an jenen Tag auf dem Friedhof von St. Augustine denken, als sie an Aurnias offenem Grab gestanden hatte. Mary Robinson war wie ein Geist aus dem Nebel aufgetaucht, ihr Gesicht bleich und angespannt, während sie sich fortwährend nervös umgeblickt hatte. Es kommen Leute und fragen nach dem Kind. Passen Sie gut auf sie auf. Halten Sie sie versteckt.
    »Miss Connolly?«
    Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als er sie mit seinen Blicken durchbohrte. Doch sie blieb stumm.
    Zu ihrer Erleichterung richtete er sich auf und ging langsam zum anderen Ende des Zimmers, wo er beiläufig mit dem Finger über das Bücherregal fuhr und den Staub betrachtete, der daran haften blieb. »Mr. Tate sagt mir, Sie seien ein kluges Mädchen. Ist das wahr?«
    »Das kann ich nicht beurteilen, Sir.«
    »Ich finde, Sie sind viel zu bescheiden.« Er wandte sich um und sah sie an. »Welch eine Schande, dass ein Mädchen von Ihrer Intelligenz gezwungen ist, in so prekären Verhältnissen zu leben. Ihre Schuhe sehen aus, als würden sie jeden Moment auseinanderfallen. Und dieser Umhang – wann ist der zuletzt gereinigt worden? Sie haben doch gewiss Besseres verdient.«
    »Wie viele andere auch.«
    »O ja, aber Sie sind es, der hier eine Chance geboten wird.«
    »Eine Chance?«
    »Eintausend Dollar. Wenn Sie mir das Kind bringen.«

    Sie war wie vor den Kopf geschlagen. So viel Geld – damit könnte man sich ein Zimmer in einem guten Logierhaus leisten, wo es jeden Abend eine warme Mahlzeit gab. Dazu neue Kleider und einen warmen Mantel, nicht diesen schäbigen Umhang mit seinem ausgefransten Saum. All die verlockenden Annehmlichkeiten, von denen sie nur träumen konnte.
    Und ich muss nur eines dafür tun: Meggie hergeben.
    »Ich kann Ihnen nicht helfen«, sagte sie.
    Ebens Schlag kam so plötzlich, dass der andere Mann keine Zeit hatte dazwischenzugehen. Roses Kopf wurde zur Seite geschleudert, und sie wand sich auf ihrem Stuhl. Ihre Wange brannte wie Feuer.
    »Das war nicht nötig, Mr. Tate!«
    »Aber Sie sehen doch, wie sie ist, oder?«
    »Sie erreichen mehr mit dem Zuckerbrot als mit der Peitsche.«
    »Na, das Zuckerbrot hat sie ja gerade ausgeschlagen.«
    Rose hob den Kopf und starrte Eben mit unverhohlenem Hass an. Ganz gleich, was sie ihr anbieten mochten, seien es tausend oder zehntausend Dollar, sie würde nie ihr eigen Fleisch und Blut hergeben.
    Der Engländer stand jetzt vor ihr und betrachtete ihr Gesicht, auf dem sich sicherlich

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