Leichenroulette - Roman
Wegschnecke, die als Trägerin des reizvollen lateinischen Namens »Arion Lusitanicus« von unbekannten Übeltätern von der Iberischen Halbinsel nach Mitteleuropa eingeschleppt worden war. Der schleimige Grünpflanzenvertilger hatte zu seiner großen Freude in unseren Breiten keine natürlichen Feinde vorgefunden und sich aufgrund der paradie sischen Zustände unheimlich schnell vermehrt. Zu Abertausenden fraß er die Wiener Blumenkulturen kahl. Petunien, Dahlien, aber auch Gemüse jeder Art galten als seine mit Strunk und Stiel vertilgte Lieblingsspeise.
Bald fand auch ich mich mit einer Schere bewaffnet frühmorgens im Garten ein, wo mir das Zerschnipseln Hunderter dieser Undinger für den ganzen Tag gute Laune bescherte. Vorübergehenden erzählte ich gern einen Schneckenwitz: »Wie sind die spanischen Schnecken nur nach Wien gekommen? – Langsam, sehr langsam, lieber Herr!«
Beim Kampf um die Vernichtung der Schnecken entspannen sich erste Gespräche, knüpfte ich in unse rer Siedlung Kontakte, lernte ich die unterschiedlichen Charaktere vieler Leute kennen. Einige setzten auf Zerschneiden der Tiere, andere zerhackten sie mit Spaten oder ertränkten sie in Salzlösungen. Besonders grausame Gemüter bevorzugten gar ihre Verbrennung.
Bange, erwartungsvolle Monate verstrichen, ohne dass Post von Verlagen eintraf. Dann jedoch erhielt Poldi fast lawinenartig alle seine Manuskripte zurück. Jeden Tag schleppte der Briefträger Pakete an, was er mit der freundlichen Bemerkung: »Ah, haben’s bei Versand häusern Großeinkauf g ’ macht!« quittierte. »Wir be dauern sehr …«, schrieben die einen. »Leider passt Ihr Werk nicht in unser Programm«, die anderen. »Nicht ganz uninteressant, aber nicht wirklich originell«, ein dummdreister Verleger. Es war ein Schock.
Leopold ging mit gekränktem Gesicht umher; die kompromisslose Zurückweisung seines Meisterwerks traf ihn tief. Mich auch, denn die erwarteten und im Geiste bereits verplanten Millionen lösten sich in Luft auf. Da der enttäuschte Autor keinesfalls auf die Publikation seines Werks verzichten wollte, sprangen seine Eltern mit einem Geldbetrag ein. Hundert Stück von »Wilde Ereignisse in dunkler Zeit« erschienen schließlich im Selbstverlag. Mein Mann legte die Exemplare an strategisch günstigen Punkten unseres Wohnzimmers auf, um dann in lockerem Gespräch wie zufällig auf sein Œuvre zu verweisen. Mit sanfter Gewalt drängte er das auf teures Glanzpapier gedruckte Buch seinen Verwandten und Bekannten als Geschenk auf. Kaum jemand wollte es freiwillig nehmen. »Aber na, du bist zu großzügig, lass es sein«, wehrten sie ab. Ich konnte mich nicht zurückhalten und gab einen Witz zum Besten: »›Also, Sie sind jetzt ein Schriftsteller?‹, wird der Autor eines Erstlingswerks gefragt. ›Ja!‹ – ›Und was haben Sie bis jetzt schon verkauft?‹ – ›Bis jetzt meinen Wintermantel und meine Uhr!‹« Das saß. Poldi schaute giftig – unsere Besucher lachten. Einige entsorgten das Buch meines Mannes beim Gehen heimlich, wie ich später beim Entleeren des Mülls merkte, in der Abfalltonne vor unserem Haus.
Zu meiner tiefen Enttäuschung erfüllte sich auch mein Wunsch nach Kindern nicht – ich hatte zwei geplant, ein Mädchen und einen Buben. Poldi sprach sich vehement dagegen aus: »Was brauchen wir Gschrappn? In Zeiten wie diesen! Nur Geschrei, Kosten, Ärger und Wirbel, all das täte mich nur beim Arbeiten stören. Ich will das nicht! Ich brauch Ruh!« Ich brachte dann das Thema noch ein paar Mal zur Sprache, stieß aber auf immer heftigere Ablehnung und schließlich fast rabiate Zurückweisung. So musste ich neidvoll miterleben, wie auf dem Bierhäuslberg ein Ehepaar nach dem anderen zur Familie wurde. Vielleicht ging meine Fantasie mit mir durch, aber mir schien es, als ob mich junge Mütter, während sie ihre Kinderwagen plaudernd nebeneinander vor sich herschoben, oft mitleidig musterten. Die Taktlosen unter ihnen stellten mich sogar ungeniert zur Rede: »Und Sie, Frau E., wolln’s kane Kinder? Sind schon herzig, die Kleinen! Die Katz, die Sie ham, ist Ihnen die g’nug?« Ich blieb selbstverständlich die Antwort schuldig, fühlte mich jedoch bedrückt, ja sogar minderwertig.
Schließlich resignierte ich. Den südseitigen Raum im ersten Stock unseres Häuschens, den ich als Kinderzimmer vorgesehen und in Gedanken bereits mit IKEA -Möbeln, hellen Tapeten und lustigen Vorhängen liebevoll für ein Baby hergerichtet hatte,
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