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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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müssen, hatten viele das Anbringen ihrer Porträts mittels kleiner, in den Grabstein eingelassener Medaillons verfügt. »Auch nicht schön, der Ferdinand Schulz mit seinem Kropf!«, bemerkte ich. Unser Augenmerk galt jedoch den Accessoires der Gräber. Wir bewunderten den üppigen Blumenschmuck nicht nur, wir nahmen ihn auch mit, um damit unsere eigenen Gärten auszustatten. Wie teuer waren doch Pflanzen, die hier mangels Pflege bald verwelkten, denen jedoch bei uns zu Hause, gehegt und gepflegt, noch ein langes Leben beschieden sein würde! »Ich frage dich«, meinte Mizzi, vermutlich um ihr schlechtes Gewissen zu beschwichtigen, »was haben die Toten von dem Kram?« Sie lachte frivol. »Gestatten Sie?«, fragte sie, bevor sie von dem Grab eines Friedolin Mayer eine schöne, im Advent sehr nützliche Kerze entfernte.
    »Erinnerst du dich noch, wie wir als Kinder zum Muttertag immer Blumen vom Friedhof holten?«, fragte ich nostalgisch. »Unsere Mütter haben sich zwar über die typischen Totenblumen anstelle von Vergissmeinnicht und Hortensien gewundert, aber nie etwas gesagt. Ach, Waldviertel, mon amour !« – »Gib nicht an, du weißt doch, dass wir nie Französisch hatten, weil kein Lehrer in das provinzielle Waldviertel am Ende der Welt wollte«, beendete Maria meine Sentimentalität. »Es ist dir schon klar, dass wir miese Grabfledderer sind?« – »Pfui, zähme deine Worte!«, antwortete ich entrüstet, während wir unsere Beute verstauten. »Letz te Ruhestätten sind Orte der Besinnung und des Gedenkens!« Dann fiel mir ein Zeitungsartikel ein, denn ich kurz zuvor gelesen hatte. »Stell dir vor, in Italien, wo der Totenkult blüht, besorgt die Mafia den Schutz der Friedhöfe. Man sucht die Hinterbliebenen auf und bringt ihnen die Notwendigkeit der Bewachung der toten Lieben in derart pietätvoller Weise nahe, dass kaum jemand die angebotene Hilfe ablehnt. Die ›ehrenwerte Gesellschaft‹ bietet ihre Dienste natürlich nicht kostenlos an. Für die Mühe werden regelmäßig kleine Beträge kassiert, quasi ›Körberlgeld‹ für die Mitglieder der Organisation. Dass es immer wieder zahlungsunwillige Außenseiter gibt, passt ins Konzept der Mafiosi. Bald stehen die Renitenten fassungslos vor steinernen Engeln, denen man die Flügel abgebrochen hat, und vor ihren mit ordinären Sprüchen beschmierten und verwüsteten Gräbern. Die bösen Rachetaten dienen als Strafe und Reklame. Sie erweitern auch den Kundenkreis. »Nicht schlecht«, grinste Mizzi. »Vielleicht sollten wir uns auf diesem Gebiet etablieren? Ich denke an eine Firma mit dem Namen ›Grabschutz AG ‹.« – »Klingt nicht uninteressant«, stimmte ich ihr bei. »Und da fällt mir noch etwas ein. Du kennst doch die Familie Schneider aus unserer Siedlung?« – »Ja, flüchtig.« – »Sie hat mir unlängst eine unglaubliche, aber wahre Geschichte erzählt. Hör zu: Frau Schneider hatte eine Großtante, die sie manchmal im Altersheim Lainz besuchte. Als die alte Dame im Sterben lag, bat sie: ›Ich möchte bei meinem Rudi begraben sein!‹ Die Schneiders, ihre einzigen überlebenden Verwandten, respektierten diesen letzten Wunsch. Sie erledigten alle Behördenwege und veranlassten die Beisetzung der Tante in der Gruft ihres langjährigen Lebensgefährten. Beim Begräbnis waren sie, neben dem Geistlichen und den Sargträgern, allein bei der kurzen Zeremonie. Plötzlich stutzte Herr Schneider. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen, zog er seine Frau beiseite und flüsterte ihr aufgeregt zu: »Jessas, schau doch! Auf dem Grabstein steht Werner Sokol. Ich weiß genau, der Freund hat aber Rudolf Sokol geheißen!« – »Um Gottes willen« kam gewispert, obwohl sich niemand in Hörweite befand, die Antwort zurück. »Und die Tante wünschte sich noch diese Inschrift! Schrecklich, vielleicht hat der Werner Sokol eine Witwe hinterlassen. Die kommt auf den Friedhof, sieht dort am Grabstein ihres Mannes den Namen einer fremden Frau eingemeißelt und darunter: Auf ewig Dein!« Die Schneiders haben, wie sie mir erzählten, überstürzt den Zentralfriedhof verlassen, sich nie mehr bei der Gruft blicken lassen und den peinlichen Vorfall einfach verdrängt!« Mizzi lachte Tränen: »Kommt vielleicht öfter vor, dass einer im falschen Grab liegt!«
    Wenig später waren Poldi und ich bei Rosi und Fritz Pollatschek eingeladen, den rechts von uns wohnenden stolzen Besitzern eines putzigen Schweizer Almhäuschens. Mich ekelte schon im Vorhinein vor dem

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