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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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amtlichen Fall konnten Poldi und ich leider nichts mehr ändern. Bei dem letzten Fauxpas unseres »Sir« gelang es uns, Herrn Stenzl mit dem Hinweis auf das hohe Alter des Beleidigers zu besänftigen.

Kapitel 9
    9
    Ab dem 1. Dezember erwachte unsere Siedlung, wie jedes Jahr um diese Zeit, zu neuem Leben und geradezu hektischer Aktivität. Das Startsignal dafür gab die Rentnerin Heidi Huber aus der Sonnenblumengasse, indem sie ihren Enkel Norbert mit der Installation von drei Elektrokerzen auf der Fensterbank ihres Wohnzimmers beauftragte. Beim Entleeren des Abfalleimers beobachtete ihr Nachbar die Weihnachtsoffensive und konterte umgehend mit der Aufstellung eines zehnarmigen dänischen Kerzensets im Küchenfenster. Danach gab es kein Halten mehr. Zwei Tage später erstrahlte der Bierhäuslberg allabendlich in märchenhaft-kitschigem Glanz. Sternengeschmückte Kettenschaltungen überzogen die Obstbäume, Lichterketten umwanden die Gartenzäune, Gartenzwerge erhielten ein schimmerndes Kleid. Mit der Aufstellung eines funkelnden Rentiergespanns aus reinem Plastik in seinem Garten setzte Fritz Pollatschek zweifellos den neidlos anerkannten Höhepunkt des gespenstischen Treibens.
    Vorweihnachtliche Stimmung breitete sich aus, und ich beschloss, vom allgemeinen Adventtreiben in milde Sentimentalität versetzt, Bekannte einzuladen und ihnen eines meiner deftigeren Lieblingsgerichte zu kredenzen: Wiener Fiakergulasch mit Nockerln, Ei und Gurkerln. Und das, obwohl Leopold meine Bemühungen um die bodenständige Wiener Küche gar nicht schätzte. Undankbar, wie er immer gewesen ist, jammerte er, dass er die vielen Zwiebeln im Gulasch nicht vertragen könne. Sie würden ihm Magendrücken und Übelkeit bereiten: »Jedes Mal wird mir danach schlecht.« Ich schenkte seinen Beschwerden keinen Glauben, fasste seine Äußerungen als Beleidigung meiner Kochkünste auf und nahm daher auch auf diese, wie mir schien, übertriebenen Empfindlichkeiten keine Rücksicht. War doch gerade dieses Gericht – wie mir die Komplimente unserer seltenen Gäste bestätigten –, pikant und perfekt nach einem alten Familienre zept meiner seligen Großmutter zubereitet, ein wahres Gedicht.
    In diesem Sinne schälte ich eines Abends im Dezember eine Unmenge von Zwiebeln – Zwiebel zu Fleisch sollten im Verhältnis 1:1 stehen – und hackte sie würfelig. Ich wusch Paprikaschoten und schnitt sie in Streifen. Auch den Wadschunken (gut abgelegenes, leicht mit Fett durchzogenes Beinfleisch vom Rind) schnitt ich in Würfel, die ich sorgfältig in Mehl wälzte. Dann briet ich die Zwiebeln in Schmalz, bis sie goldbraun waren und mischte das Fleisch, Paprika, Tomatenmark, Paprikapulver sowie eine Prise Salz und Pfeffer darunter und ließ alles etwa fünf Minuten anrösten.
    Und dann kam das Besondere. Unserer Familientradition folgend, goss ich nach dem Vorbild meiner Großmutter, die aus einer Familie von schweren Säufern stammte, mit Rotwein und nur mit Rotwein auf – normalerweise nimmt man Wasser. Anschließend fügte ich reichlich Knoblauch, Petersilie, Kümmel, Majoran und Thymian dazu. Das Gulasch köchelte zwei Stun den langsam vor sich hin, um dann, nochmals mit Wein aufgegossen, weitere zwei Stunden ganz langsam bei mittlerer Hitze gar zu werden. Über Nacht ließ ich die Speise stehen, denn aufgewärmt schmeckt sie noch besser.
    Ich servierte mein Fiakergulasch mit gebratenen Frankfurter Würstchen, einer fein geschnittenen Znaimer Gurke und einem Spiegelei. Ich musste schmun zeln, als ich mich erinnerte, wie sich Poldi bei der unge schickten Zubereitung letzterer Zutat verbrüht hatte.
    Unsere Gäste, das Ehepaar Gruber, waren beide in derselben Bank wie ich beschäftigt. Sie war eine lebhafte brünette Fünfzigjährige, er ein etwas älterer, untersetzter Mann mit kleinem Schnurrbart. Wie vereinbart trafen sie, mit Blumen bewaffnet, pünktlich um acht Uhr abends ein. Frau Gruber bewunderte den schönen alten Türklopfer in Gestalt eines kleinen Löwenkopfes aus Messing am Eingang. »Habe ich am Flohmarkt gekauft!«, erklärte ich das in Wahrheit aus dem Palais Pallavicini in der Wiener Innenstadt stammende und auf einem meiner kleinen Raubausflüge mit Mizzi erworbene antike Stück. Die Gäste aßen tüchtig, bedienten sich ein zweites Mal, sprachen auch den »Schusterlaberln«, die ich zum Gulasch als Gebäck reichte, zu und tranken sehr viel. Selbst Poldi häufte sich von meiner Götterspeise eine große Portion auf den Teller.

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