Leichenroulette - Roman
Mau, Lizzi und Sue, die sie in hysterischem Tonfall mit Gio, Joe und Dido führten, wobei sie sich einer sehr affektierten, dialektlosen Sprache bedienten: »Tagsüber nur Deskfood, macht aggro, super, dass Flo herdet.« Ein häufiger, wohl dem Terroristenmilieu entnommener Schrei lautete: »Das ist Bombe!«
Niemand aus der Gruppe selbstsicherer, betont hochmütiger Jung-Investmentbankerinnen und -banker würdigte mich eines Wortes. Einige musterten mich jedoch schweigend wie ein altes, abstoßendes Insekt, das sich in die Gesellschaft edler Schmetterlinge verirrt hatte. Ich hörte, wie eine der anderen zuzischte: »Die ist aber wirklich kein Burner!« Schließlich fragte mich eine Lea erstaunt, woher ich Flo denn eigentlich kenne. Sie tat dies in der steifen, überhöflichen Art, in der man eben mit alten, etwas schwerhörigen Damen Konversation betreibt. Keiner saß, wie ich es gewohnt war, artig Nüsse knabbernd beim Aperitif in einer Wohnlandschaft, um sich dann auf entsprechende Aufforderung hin zum hübsch gedeckten Tisch zu begeben.
Schließlich seihte Florian die »Pasta« genannten Nudeln ab, rührte die Pilzsauce um und forderte dann unter allgemeinem Gebrüll Lizzi zum Kosten auf. Gespreizt entledigte sie sich der Sache: »Ist eh mega-hipp!« Dann nahmen die Schrägen und Schicken alle um den großen Holztisch Platz, jemand verteilte ohne Zeremonie Besteck und tiefe Teller, man warf einander die Papierservietten zu, und das Festmahl begann.
Ich zwängte mich zwischen zwei junge Männer, von denen der Dido genannte nur von »Spreads«, »Underlying«, »Swaps« und »Private Commodities« faselte. Er lehnte sich, meine störende Anwesenheit sichtlich bedauernd, gestikulierend über mich hinweg, wobei er seinen Ellbogen fast in mein Essen tauchte.
Der Abend begann in Horror auszuarten, ich fühlte mich alt, müde und ausgestoßen. Dann jedoch machte sich Wut in mir breit, ich sammelte meine Kräfte und nahm den Kampf mit den kindischen jungen Leuten auf. »Und wie war die Performance Ihrer Portefeuilles im letzten Jahr?«, fragte ich Dido, der mich durch sein weiches Kinn und seinen blöde-stieren Blick besonders reizte. »Da habe ich andere Ergebnisse«, meinte ich herablassend, als er mir magere Zahlen nannte. »›Bet and Gain‹ hat allein 500 Prozent zugelegt, und ›Interantibiotics‹ – was sagen Sie zu dem neuen Impfstoff, dessen Zulassung bevorsteht? Haben Sie wirklich nicht auf Euro-Dollar-Zertifikate gesetzt? Auch nicht auf die Brent-Oil Futures von Goldman-Sachs? Und die tollen brasilianischen Staatsanleihen? Ich wundere mich!«
Es wurde still in dem Affentheater. Didos Mund stand offen. »Sie scheinen ein gutes Händchen zu haben«, murmelte er. »Die textet dich aber ganz schön ab, Oider!«, lachte ein Girl. »Oh, fuck!«, antwortete der Angesprochene simpel. Von da an betrachtete man mich mit einer gewissen Scheu, es gab keine frechen Blicke und keine Schwierigkeiten mehr, ich beherrschte die komische Tafelrunde. Als sie sich schließlich nach übermäßigem Alkoholgenuss weit nach Mitternacht auflöste und sich der letzte Gast schwankend verabschiedet hatte, blieb ich zurück. Das schmutzige Geschirr auf dem edlen Küchenblock stank bestialisch, ebenso wie die Teller und die vielen Gläser auf und unter dem Tisch, die einen abstoßenden Geruch verbreiteten. Flo war stark betrunken, ich war es auch. Trotzdem genehmigten wir uns noch Champagner, den wir nackt – ich hatte alles, sogar meinen Push-up abgelegt – auf der (Gott sei Dank stockfinsteren) Terrasse tranken. Beim Hineingehen brachte mich der Kontrast zwischen dem unordentlichen Loft und den pedantisch in Reih und Glied zum Trocknen aufgelegten Pilzen im Wintergarten zum Lachen.
Flo war nicht sehr sauber, er roch auch nicht gut, und das galt ebenfalls für seine grellbunte Bettwäsche. Entgegen den Ratgebern sagte ich nichts von »Frischmachen«. An den eigentlichen Liebesakt fehlte mir später die Erinnerung, er konnte nicht sehr lang und aufregend gewesen sein. Sehr wohl erinnerte ich mich an das knarrende, miese Bett, das mir beim Liegen Kreuzschmerzen verursachte. Die Sehnsucht nach meinem eigenen duftenden Zuhause wurde riesengroß, als der wohlgeformte junge Körper an meiner Seite, der lang ausgestreckt auf dem Rücken lag und mich an den Rand des Bettes drängte, ein mächtiges, in hohe und tiefe Intervalle gegliedertes Schnarchen von sich gab. »Mein Gott, nicht schon wieder!«, entrang sich mir, während ich die
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