Leichenroulette - Roman
gelbe Tapete betrachtete, wo die Lichter des Straßenverkehrs wechselnde Schatten warfen. Ich zählte große und kleine Schafe und sehnte das Morgengrauen herbei. »Ach, wär ich doch daheim!«, seufzte ich.
Glücklich war ich trotz allem. Glücklich, die Liebe eines gut aussehenden jüngeren Mannes errungen zu haben. Das gemeinsame Frühstück, für das ich mich züchtig in den etwas schmuddeligen Bademantel meines Geliebten hüllte, fand in merkwürdig schaler, trüber Atmosphäre statt, die mich etwas enttäuschte. Keine Zärtlichkeit. Flo lächelte melancholisch und sprachlos, fast wie ein Märtyrer. Es gab nur schwarzen Kaffee und Orangensaft: Beides brannte mir im Magen und verursachte mir Übelkeit. »So spät schon, ich muss laufen!« Flos Blicke glitten über den Unrat, dann sah er mich herausfordernd an. »Bleibst du noch?«
Sollte ich das vielleicht für ihn putzen? Lieber nicht, sonst wirkte ich noch wie seine Tante! Ich ignorierte den nicht ausgesprochenen, aber doch manifesten Wunsch. Wir verließen daher die Wohnung gemeinsam, und während Flo nach einem flüchtigen Abschiedskuss ins Büro eilte, fuhr ich nach Hause, nahm mir eine flauschige Decke, legte mich auf die Couch im Wohnzimmer und überdachte die Ereignisse der letzten Nacht. Murli kuschelte sich an meine Seite. Zu mir werde ich ihn nicht einladen können – das ist ihm hier zu bieder!, war mein letzter Gedanke, bevor wir den Tag wohlig verschliefen.
Kapitel 15
15
Drei Tage später rief mich Flo an. Seine unerwartete Nachricht freute mich sehr. »Du«, meinte er, »ich habe noch Resturlaub, den ich verbrauchen müsste. Die Zeit wäre günstig, es ist ruhig in der Firma! Gönnen wir uns miteinander eine kleine, feine Reise?« Empfand mein kühler »Lover« tatsächlich Zuneigung für mich? »Das wäre wunderbar«, flötete ich entzückt und stürzte mich in die Planung.
Es gab herrliche Ferienangebote. Für die Insel Mauritius im Indischen Ozean warb ein Reiseveranstalter mit den Worten: »Die Vergangenheit war gestern, und was kommt morgen? Hier lebt man jetzt und heute!« Ich sah mich bereits in einem Luxushotel, vielleicht im eigenen Bungalow, faulenzen, schnorcheln, an der Seite meines Freundes in der Sonne und im Bett liegen. Ein Tauchkurs in der riesigen Lagune bot sich an. Hatte nicht die berühmte Regisseurin Leni Riefenstahl diesen Sport im Alter von über siebzig Jahren erlernt und dann zusammen mit ihrem um vierzig Jahren jüngeren Partner Unterwasserfilme gedreht?
Meine Überlegungen schweiften weiter. Eine Luxus-Kreuzfahrt in die Südsee? Eine Rundreise nach Samoa – schon der Name weckte Sehnsüchte in mir –, nach Tonga oder zu den Fidschi-Inseln? »Alles ist möglich« war nicht nur das Motto der Klassenlotterie, son dern auch meines als wohlhabende Frau. Sanfter Luxus, süßes Leben in einem teak-romantischen Kolonialhotel in Thailand, auch nicht schlecht! Dutzende malerische Inselchen der Maledivien lockten mit 2700 Sonnenstunden im Jahr. Eine eklige Note brachte nur die Website des Ministerpräsidenten des Inselstaates ins Spiel. Suchte der Spießer doch allen Ernstes Ausweichquartiere für die Bewohner seiner kleinen Para diese, welche aufgrund des Klimawandels in naher Zukunft im Meer versinken würden. Ein mieser Spiel-verderber, vergällt den Leuten ihren romantischen Urlaub, der pessimistische Spinner!
Doch meine Träume von Palmen, Sonne, Meer und Südsee versanken noch schneller als die Malediven, als mein Partner ein unspektakuläres Reiseziel vorschlug: »Ach nein, nicht so weit weg! Ich dachte an D. im Waldviertel. Zum Ausspannen und Erholen genau das Richtige. Ein Insider-Tipp! Und recht nah! Ganz rustikal! Kein Internet, sogar das Handy funktioniert dort, wie ich höre, nur sporadisch. Es ist Relaxen pur, und die heimischen Wälder geben in puncto Pilzen einiges her. Es wird dir sehr gefallen.«
Ich schluckte. Enttäuschung machte sich in mir breit, bis Positives die Überhand gewann. Wollte mir mein Partner, der wusste, dass ich aus dem Waldviertel stammte, vielleicht eine Freude bereiten? So viel Zartgefühl brachte mich fast zum Weinen.
D. war mir, obwohl die Entfernung zu meinem Heimatort nur etwa dreißig Kilometer beträgt, persönlich unbekannt. Das lag daran, dass in meiner Kindheit nur wenige Familien Autos besaßen und selbst nahe Ziele in weite Ferne rückten, sofern keine günstige öffentliche Verkehrsverbindung – hin und retour an einem Tag – bestand. Postbusse verkehrten
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