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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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offizieller Titel lautete.
    Beim Singertor des Stephansdoms hatte sich, als wir ankamen, schon eine große Menge versammelt. Ich stellte den Käfig, in dem sich Murli wütend hin und her warf und sich mit Gewalt zu befreien suchte, ab und sah mich um. Hunde aller Rassen, groß und klein, hässlich und hübsch, waren in Begleitung ihres »Frauerls« oder »Herrchens« erschienen. Die meisten saßen artig da. »So benimmt man sich!«, zischte ich dem Kater zu. Ein Mann führte eine sanft käuende Ziege herbei, auch einige Pferde hatten sich eingefunden. Jugendliche mit wilden Tattoos und auffälligen Piercings trugen Ratten und Mäuse unter ihren Anoraks. Von Zeit zu Zeit verrenkten sie sich wie wild, um ihre Lieblinge an der Flucht zu hindern. Dabei hatte die Kirche empfohlen, empfindsame Tiere wie Kaninchen, Hamster, schreckhafte Mäuse und ähnliches Getier daheim zu lassen und an ihrer Stelle ein Foto mitzubringen.
    Um fünf Uhr startete die Segnung mit einem Marsch der Gardemusik. Eine Staffel von Polizeidiensthunden zeigte ihr Können. Murli ließ ein abfälliges Fauchen hören. »Segen kennt keine Grenzen«, begann der Dom pfarrer seine Ansprache. Dann segnete er mit eigens aus Assisi importiertem Weihwasser die Tiere samt Begleitung. Wieder zu Hause, entließ ich den Kater aus seinem temporären Gefängnis. »Es war eine schöne Zeremonie«, rief ich hinter dem Kater her, der wie ein Wirbelwind im Garten verschwand.
    Eines Tages lud mich Flo ein zu einem kleinen Abendessen, keinem »Event«, wie er betonte, in sein Loft im achten Bezirk, hoch über den Dächern Wiens mit Blick auf die City. Er wollte mich seinem Freundeskreis vorstellen und mir sein – sündteures – Domizil zeigen. Er gedachte selbst zu kochen. Im Lift traf ich ein Mädchen: »Flo hat’s gut – ich wär auch gern da in Boboville, nicht im asseligen Ottakring!«
    Die Wohnung bestand, abgesehen von einem winzigen Schlafkämmerchen, dessen angelehnte Tür ein ungemachtes Bett enthüllte, und einem Wintergarten mit vorgelagerter Terrasse, aus einem einzigen riesigen, fast kahlen, teppichlosen Raum. Gemütlich wie ein steriler Operationssaal, dachte ich sarkastisch. Mittendrin thronte eine monströse, für den Ein-Personen-Haushalt grotesk überdimensionierte Küche aus Edelstahl, die einem gut frequentierten Restaurant zur Ehre gereicht hätte. Dort hantierte der fröhliche Hausherr, in eine bunte Küchenschürze gehüllt und ein Glas Rotwein in der Hand, bei dampfenden Töpfen.
    Seine Gäste begrüßten sich überschwänglich mit Küsschen links, Küsschen rechts. Alle kannten einander gut. Sie waren, wie ich gleich sah, viel jünger als ich. Und sie gebärdeten sich auch so, kreischten beim geringsten Anlass schrill auf und lungerten in der in den Wohnbereich integrierten Küche herum, wobei sie »aperölten«, das heißt, Aperol tranken, Alkopops – Whisky mit Fruchtsaft – versenkten oder sich mit den Worten »Heute ist mir nach Chill-out« als »Cocacoliker« zu erkennen gaben. Man kicherte, als ich einen »Sundowner« wünschte.
    Einige der »toughen« Girls steckten in mit wehenden Schals drapierten Minikleidern, riesige »Ethno-Pletschn« um den Hals. An ihren dünnen, teilweise auch dicken Beinen machte ich extreme High Heels aus, in denen sie affektiert über das Parkett klapperten. Allein ihr Anblick brachte meine Überbeine, die ich in flachen, breiten Schuhen kaschierte, schon zum Schmerzen. Andere wiederum trugen warme, kurze Wollkleider mit Stiefeln, die über die Knie reichten. Auch kurze Shirts, kombiniert mit auf den Hüften sitzenden und tätowierte Pobacken enthüllende Hosen gab es zu sehen.
    Die jungen Männer, alle mit gesträubten, Gel-gestyl ten Frisuren – sie erinnerten mich an die Zeichnungen von Max und Moritz aus meiner Kindheit –, gefielen sich in zerknitterten Rollkragenpullovern oder offenen Hemden zu abgewetzten, durchlöcherten Jeans und schweren, erstaunlich sorgfältig geputzten Designerschuhen, vermutlich Statussymbolen. Krawatte trug keiner. Alle wirkten unrasiert. Meine eigene, von einem Push-up- BH unterstrichene und in Zaum gehaltene bürgerliche Eleganz wirkte in dieser In-Szene selbst auf mich komisch. Flo, der meine Unsicherheit nicht zu bemerken schien und den das hektische Treiben um ihn herum nicht beim Kochen störte, reichte mir grinsend ein Glas. Ganz auf mich allein gestellt, lauschte ich den mit grotesken Floskeln gespickten, größtenteils unverständlichen Gesprächen von

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