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Leichenschrei

Titel: Leichenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicki Stiefel
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nicht finden? Wer hatte Laura Beal umgebracht? Warum schickte mir jemand einen Finger? Wer zum Teufel wusste Bescheid? Eine Sache wenigstens konnte ich tun.
    Ich hielt vor dem Büro des Sheriffs und reichte einem seiner Kollegen die Kühlbox.
    »Sagen Sie Hank, es wäre von mir, ja? Ein wichtiges Beweisstück« – wofür auch immer, dachte ich insgeheim. »Wenn er mich braucht, soll er mich auf dem Handy anrufen. Einer wütenden Walküre gleich fegte ich hinaus. Es ärgerte mich ohne vernünftigen Grund, dass Hank Cunningham einst auf Laura Beal abgefahren war.
    Als ich die Straße der Beals entlangfuhr, entdeckte ich Noahs Jeep in seiner Auffahrt. Mist. Würde er Annie denn nie allein lassen? Das Letzte, was Annie jetzt brauchte, war eine Auseinandersetzung zwischen Noah und mir. Ich machte mir Sorgen um Annie. Ich hätte gern gewusst, ob sie sich innerlich noch immer verbarrikadiert hatte, eine Gefangene ihrer Angst und ihres Schmerzes.
    Kein Anruf von Hank. Also fuhr ich zu Patsy Lees Geschäft. Ich fuhr zur Katahdin Mountain Mall, einer gehobenen Ladenzeile gleich hinter dem Piper’s und schräg gegenüber vom Beal’schen Immobilienbüro.
    Die »Mall« war in einer umgewandelten Lagerhalle aus dem neunzehnten Jahrhundert untergebracht, ein Überbleibsel aus der glorreichen Zeit, in der man in Winsworth Schiffe baute. Dort befanden sich das höhlenartige Sportgeschäft Katahdin Mountain Sports Ltd., ein Feinkostladen und Perceptions. In der Auslage der Boutique waren von Künstlern gestaltete Kleidungsstücke, Schmuck und Töpferwaren zu sehen. Bezaubernde Sachen. Und teuer.
    Als ich gerade hineingehen wollte, riss ein älterer Herr mit den Augen eines Spaniels und einem Gehstock die Tür auf und prallte mit mir zusammen. Wir tauschten ein gegenseitiges »Entschuldigung«, und ich trat auf den weichen Teppich, dessen dicker Flor mir das Leben rettete.
    Zugegeben, ich übertreibe. Aber der Stiletto, der mit Schallgeschwindigkeit auf mich zukam, streifte nur meine Wange, statt mein Gesicht aufzuspießen.
    »Scheiße«, sagte ich.
    »Oh, herrje!«, sagte die Frau, die das Gegenstück zu dem Stiletto hochhielt. Die Blondine senkte den Arm. »Es tut mir ja so leid.«
    Das war wohl Patsy Lee, obwohl sie eher wie Scarlett O’Hara klang. Ihr zarter Teint war gerötet. Ihre platinblonde Hochsteckfrisur war verrutscht, ihre Augen dunkel von der zerlaufenen Wimperntusche. Okay, ihr lavendelfarbenes Kaschmirkleid saß perfekt, aber es ist auch schwer, guten Kaschmir zu zerknittern.
    Sie war nicht länger die graue Maus – Patsy Lee war eine hinreißende Frau.
    »Ich nehme an, der gehört Ihnen, Mrs Jones.« Ich hielt ihr den weggeworfenen Schuh hin und dachte mir, dass es nicht verkehrt sein konnte, selbst eine Waffe zu haben.
    »Oh. Oh. Oh, ja.« Patsy streckte mir die Hand entgegen, um meine zu schütteln, nur dass es die war, die den spitzen Stiletto hielt. »Es tut mir ja so, so leid. Und ich heiße Lee, nicht Jones. Patsy für meine Freunde.«
    »Solche Fehlkäufe können schon ärgerlich sein.« Vorsichtig reichte ich ihr den Schuh.
    Sie schlüpfte wieder in die Stilettos, tupfte sorgfältig die Augen, ordnete ihre Frisur und schaffte es, perfekt gestylt auszusehen, etwas, woran ich immer scheiterte.
    »Fehlkauf?«, sagte sie. »Wohl eher ein verfehlter Schwiegervater!«
    Also hatte Patsys Zorn dem Mann mit den Hundeaugen an der Tür gegolten – Drews Vater, ehemaliger Gouverneur von Maine und Besitzer der Jeep/Chrysler-Niederlassung. Anscheinend herrschte in der Familie Jones auch nicht immer eitel Sonnenschein.
    Patsy begann zu lachen. »Ich muss ja völlig durchgeknallt gewirkt haben. Entschuldigen Sie. Daniel und ich geraten von Zeit zu Zeit aneinander. Dabei ist er ein ganz entzückender alter Herr. Kommen Sie. Ich führe Sie herum.«
    »Nicht nötig. Ich sehe mich gern allein um.«
    Patsy hakte sich bei mir unter. »Ach, kommen Sie, Miss …«
    »Nennen Sie mich Tally.«
    »Na, dann kommen Sie mal, Tally. Ich führ Sie rum, und außerdem kriegen Sie zwanzig Prozent auf alles, wegen des geworfenen Schuhs.«
    Wer kann einem Schnäppchen schon widerstehen?
    Eine halbe Stunde später war ich drauf und dran, die stolze Besitzerin einer zartgrünen Bluse aus Wildseide und eines Minirocks aus schwarzem Leder zu werden. Ein Outfit, für das man sein Leben lassen konnte, obgleich es – auch mit Rabatt – noch so teuer war wie ein Neuwagen.
    Ich nippte an dem Eiskaffee, den Patsy mir gemacht hatte, während sie den

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