Leichenschrei
voller Bewunderung dafür. Ich vermute mal, dass, wer auch immer es hergestellt hat, irgendeinen menschlichen Geruch aufgebracht hat, was Ihren Spürhund so reagieren ließ. In Wahrheit ist das so ziemlich das Gegenteil von Jägern, die ihren menschlichen Geruch bei der Jagd kaschieren. Ich denke, dass der Finger in menschlichem Urin oder Stuhl oder auch in Blut eingelegt war. Ich werde das noch genauer analysieren.«
»Danke, Cath«, sagte Hank.
»Ja, danke«, sagte ich. »Es freut mich, Sie nach dem Treffen bei Annie wiederzusehen. Ich wollte Sie nicht so anfahren. Aber das mit dem Körperteil … das ist ganz schön heftig für mich.«
Sie nickte. »Das glaube ich Ihnen gerne. Sie sind ja zu so einer Art Berühmtheit geworden, wegen dieses Killers.«
Oh ja, ich Glückliche. »Haben Sie Annie schon wiedergesehen, Doktor? Mir ist es nicht gelungen, in ihre Nähe zu kommen. Noah war, na ja, nicht gerade kooperativ.«
»Typisch Noah«, sagte sie. »Mit den Mädchen war es immer so. Was er nicht verstand, hat er verboten. Ich habe Annie seither auch nicht wiedergesehen.«
Ich blickte hinunter auf das Etwas, das einem Kinderfinger glich. Er sah in jeder Hinsicht perfekt aus. Zu wissen, dass er unecht war, half mir auch nicht wirklich. »Neben den Lebenden kümmern Sie sich also auch um die forensische Pathologie, wie ich sehe, Dr. Cambal-Hayward.«
»Nennen Sie mich doch Cathy. Das ist einfacher. Und ich übe zwei Funktionen aus. Komisch, ich weiß, aber wir sind hier in einer Kleinstadt. Wenn ich mehr Einzelheiten über diese kleine Scheußlichkeit habe, rufe ich Sie an.«
Sie winkte mir grüßend zu und wandte sich wieder dem Tablett zu.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Hank beim Verlassen des Krankenhauses. »Es war hässlich, Ihnen das mit dem Finger anzutun. Jemand, der Ihre Vergangenheit kennt. Die Sache mit dem Schnitter.«
»Sache?«, sagte ich. »So kann man es auch nennen.«
Er packte mich an den Schultern und drehte mich zu sich um. »Das ist nicht witzig, Tally. Jemand hat Ihnen eine Nachricht geschickt. Und zwar keine schöne.«
Ich schüttelte seine Hände ab und öffnete die Tür zum Parkplatz. »Glauben Sie mir, das weiß ich. Ich bin niemand, der nach der Pfeife anderer Leute tanzt. Ich will Annie Beal treffen. Ich will Drew Jones treffen. Und ich will herausfinden, wer Laura getötet hat. Also entweder, Sie helfen mir, oder Sie lassen mich in Ruhe.«
Wieder fuhr ich die Straße der Beals entlang. Ich war stinksauer auf Hank. Aber in gewisser Weise hatte er natürlich recht. Hinter dem Mord an Laura Beal steckte mehr. Das war kein einfacher Totschlag gewesen, sondern ein Tötungsakt aus Leidenschaft, ein Mord voller trüber Untiefen und dunkler Spalten, aus denen abgrundtiefer Hass drang. Was hatte Laura Beal nur getan, um solche Gefühle heraufzubeschwören?
Ich hielt vor Annies Haus. Noah war noch immer zu Hause. Mist. Hatte der Mann etwa hier Wurzeln geschlagen?
Ich ging zu Plan C über, durchquerte die Stadt, fuhr die State Street hinauf und bog auf den Parkplatz vor dem Radiosender WWTH ein. Seht, seht. Der Radiosender war in einer prächtigen viktorianischen Villa im historischen Viertel untergebracht, die in einem knalligen Lila gestrichen war. Einmal mehr hatte Laura Beal den Konventionen eine lange Nase gezeigt. Oder vielleicht ihrem Vater. Dasselbe galt für den großen Gartenzwerg neben dem vergoldeten WWTH-Schild.
Ich ließ Penny kurz in die Büsche springen und gab ihr mehr Wasser, bevor ich den lila Fußspuren folgte, die auf den betonierten Gartenweg gemalt waren. Ich lächelte. Ich war mir nicht im Klaren, ob ich Laura Beal gemocht oder mich von ihr provoziert gefühlt hätte. Ich hatte so ein Gefühl, dass beides zugetroffen hätte.
Ich betätigte den Türklopfer aus Messing, trat ein und fand mich in Der kleine Hobbit wieder. Zumindest kam es mir so vor, da jemand jedes Fleckchen Wand in Trompe-l’ŒilManier mit seiner Version von Bilbos Welt ausgemalt hatte. Das Ganze war weit davon entfernt, nur eine Laune zu sein. Das war Kunst und wunderschön gemacht. Und es war verteufelt belebt, weshalb mir leicht schwindelig wurde.
Eine Mahagonitreppe führte nach oben. Sie klebte aber an dem Wandgemälde von Bilbos Hobbithöhle, in der noch nicht einmal das Teegeschirr fehlte.
»Hi.«
Die affektierte Mädchenstimme riss mich aus meinen glücklichen Erinnerungen an Bilbos Abenteuer. Eine etwa Zwanzigjährige mit blonden Zöpfen saß in einer entfernten Ecke der
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