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Leichenschrei

Titel: Leichenschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicki Stiefel
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Verwirrung war echt, glaubte ich. Aber ich konnte mich trotzdem nur über mich wundern und mich fragen, ob mein Gespür mich im Stich ließ, weil ich für diesen Mann eine große Zuneigung empfand. »Ähm, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir noch einmal über die Nacht von Lauras Tod sprechen?«
    »W…W…Würde das ei… ein’ Un’nerschied machen?« Er lächelte. »Also, legen Sie los. Ich gebe mein Bestes.«
    »Können Sie sich noch daran erinnern, wie Sie mir von dem Messer erzählt haben, das in Lauras Bauch steckte?«
    »Habe ich das wirklich so gesagt?« Er fuhr sich mit der knochigen Hand übers Gesicht. »Himmel. Ja, ich erinnere mich, und es war … grauenhaft. Ich habe nach Peanut gesucht. Manchmal streunt sie umher.«
    »War Gary Pinkham bei Ihnen?«
    Seine Hände zitterten. »Nein. Zuers’ nich’. Ich … Ich hab Laura gefunden. Erst dann habe ich ihn oben am Rand des Steinbruchs gesehen.«
    Er log. Warum? »Also haben Sie nicht gesehen, ob Gary sie umgebracht hat?«
    Jetzt geriet sein ganzer Körper in Zuckungen, wie in jener Nacht auf der Straße. Das war nicht gespielt. »Kann ich Ihnen etwas holen, Drew?«
    Er umklammerte seine Knie, wiegte sich. Dann hielt er einen Finger hoch und bedeutete mir: Wasser.
    Ich rannte nach einem Glas Wasser, und als ich zurückkam, saß er ruhig da, mit pendelndem Kopf und geschlossenen Augen, als sei er ohnmächtig geworden.
    Ich hielt ihm das Glas an die Lippen. Er trank langsam, schluckte schwer und seufzte.
    Langsam schlug er die Augen auf, nahm mir das Glas aus der Hand und leerte es.
    »Besser?«, fragte ich.
    »Aber ja. Mir geht es nicht gut und … Ja. Jetzt geht’s besser. Was haben Sie eben gefragt?«
    »Ob Sie gesehen haben, wie Gary Laura umgebracht hat?«
    Er kniff die Augen zusammen und richtete sich gerade auf. Er strahlte jetzt eine Macht aus, die den ganzen Raum einnahm. Er übernahm das Kommando, und zum ersten Mal konnte ich mir vorstellen, wie er vor dem Kongress aufgetreten war, eine Rechnung geprüft oder um eine Gesetzesänderung gerungen hatte.
    »Sie wollen die ganze Wahrheit und nichts anderes, richtig?«, sagte er.
    »Sie nicht? «
    »Vergessen Sie nicht, ich habe im Kongress gesessen.« Drews Lächeln erlosch. »Ob ich gesehen habe, wie Gary Laura umgebracht hat? Ja, kann sein.«

23
Ein schönes Bad
    Ich nahm einen Schluck Bourbon. »Können Sie mir erklären, was das heißen soll, dieses ›kann sein‹?«
    Drew verschränkte die Hände. »Ganz ehrlich? Er hat neben dem Stein gestanden, nicht oben am Rand des Steinbruchs. Er weinte. Als ich zu ihm hinüberkam, flehte er mich an, ihm zu glauben, dass er sie nicht getötet habe.«
    »Und haben Sie das? Ihm geglaubt, meine ich?«
    »Habe ich, ja. Gary war ein einfacher Junge. Ich sagte, er könne über Nacht bleiben. Auf dem Rückweg hierher haben wir Peanut in der Falle gefunden. Hier hat es nie solche Fangeisen gegeben. Nie. Einige Tage später haben Hank und ich fünf weitere ausgebuddelt, die auf meinem Grundstück verteilt waren.«
    »Himmel. Und Gary?«
    »Ach ja … ja. In jener Nacht hat er mir geholfen, Peanut zu befreien, und mir dann versprochen, hier zu sein, wenn ich vom Tierarzt zurückkäme. Aber er war fort, als ich kam.«
    »Warum haben Sie Hank das nicht gesagt?«, fragte ich.
    »Ich … äh … hm. Ich glaube, ich hab’s vergessen. Alles. Dass ich Lauras Leiche gesehen hatte. Das mit Gary. Alles. Erst nachdem man den Leichnam gefunden hatte, ist es mir wieder eingefallen.«
    »Und das Messer?«
    »Ich bin ziemlich sicher, dass Gary es dagelassen hat, aber ich weiß nicht genau. Das alles verschwimmt immer wieder. Sagen Sie nichts zu Hank, okay? Wegen Gary, meine ich.«
    »Aber Drew. Wie könnte ich nicht?«
    »Ich weiß. Ich habe gehofft … Herrje, manchmal ist er halt ein bisschen humorlos. Und das hier wird ihm nicht gefallen.«
    »Glauben Sie Gary immer noch?«
    Er zögerte, dann: »Ja. Ja, das tue ich.«
    Die Wolken rissen auf, und das Licht der Nachmittagssonne strömte herein. Drew stand auf, um die Vorhänge zuzuziehen.
    »Wenn Gary Laura nicht getötet hat«, sagte ich, »dann war es jemand anderes. Und dieser Jemand hätte dann auch Gary getötet und es wie einen Selbstmord aussehen lassen.«
    Peanut legte ihren Riesenkopf auf seinem Knie ab. Er streichelte ihr drahtiges Fell. »Ich habe auch darüber nachgedacht. Aber ich habe nichts gesagt, weil das, was einem in den Kopf kommt … Verstehen Sie, das würde Annie wehtun. Und sie hat doch schon genug

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