Leichenschrei
Behausung, nur größer.
Drew schlief auf der Couch. Er lag bis zur Nase unter den Decken.
Ich sah zu ihm hinunter. Schatten lagen auf seinem ausgezehrten Gesicht, und die Augen waren in ihre Höhlen gesunken. Er war kahlköpfig, genau wie Gary Pinkham, aber blasser.
Es kam mir vor, als sähe ich den Geist von jemandem, den ich einst gekannt hatte.
Peanut leckte ihm das Gesicht, und langsam schlug er die Augen auf.
»Willkommen in meinem Lustschloss, Miss Whyte.« Seine Stimme war rau vor Erschöpfung. »Setzen Sie sich.«
Er warf die Decken von sich und wankte zur Küche. »Der Bourbon kommt gleich«, sagte er. Er bewegte sich sehr zögerlich, dann wurden seine Bewegungen hektisch, als er in den Wandschränken herumwühlte, bis er die Flasche gefunden hatte und uns Drinks einschenken konnte.
»Das ist ein hübscher Fleck«, sagte ich und nahm mein Glas entgegen.
»Stimmt.«
»Gehört das alles Ihnen?«, fragte ich und musste an Patsy denken.
»Alles bis vor zur Penasquam Road. Aber Sie sind doch nicht hier, um über die Schönheit der Natur zu reden. Sie sind doch wegen Gary hier, stimmt’s?«
»Und wegen Laura. Und wegen der Regennacht mit Peanut.« Ich kraulte sie am Kopf. »Sie sieht gut aus.«
Er lächelte, aber aus seinen Augen sprach großer Kummer, genau wie bei seinem Vater. »Ihr geht’s besser.« Er nickte. »Viel besser. Tut mir leid wegen der Nacht neulich. Ich … ich erinnere mich nicht an besonders viel, um ehrlich zu sein.«
»Macht doch nichts. Ich freue mich, dass die Wunde so gut heilt.« Ich nahm einen Schluck Bourbon. »Was an mir war eigentlich so Angst einflößend im Restaurant?«
»Im Restaurant?«
»An dem Tag, als Sie die technische Zeichnung angefertigt haben. Im Town Farm Restaurant. Bei Carmen.«
Er seufzte. »Daran erinnere ich mich auch nicht.«
»Kein Grund zur Aufregung. Es war auch nichts Besonderes.«
Er hielt sein Glas hoch. »Ich hol mir noch einen. Was ist mit Ihnen?«
»Nein, danke.«
Er kam mit der Flasche zurück und stellte sie neben einem gerahmten Foto von sich und Annie ab, auf dem sie beide jünger und sehr attraktiv aussahen.
»So ist es doch einfacher«, sagte er und schenkte sich nach. »Sie haben mich also nicht erkannt, ja? In letzter Zeit lasse ich mich etwas gehen. Letzte Woche ist Annie hier hereingeplatzt, hat mir den Bart gestutzt, mich gezwungen, eine Dusche zu nehmen, und überall aufgeräumt.«
Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass Annie irgendwo hereinplatzte. »Ich kenne Sie, Drew. Und nicht erst, seit ich Sie neulich nachts im Auto mitgenommen habe.«
Seine Augen weiteten sich vor Angst. »Aber woher? Ich erinnere mich nicht. Ich, nein. Ich … ich …«
Ich ergriff seine Hand, sie war dünn, vertrocknet, skelettartig. »Nein. Nein. Daran können Sie sich nicht erinnern. Das ist Jahre her.« Als die Angst nachließ, entspannte sich sein Gesicht. Ich erzählte ihm, dass ich Emma Blake war und was an jenem denkwürdigen Halloween-Tag passiert war.
Ein Lächeln, ein Aufblitzen seines früheren Ichs, strahlende Augen. »Ja. Genau. Die kleine Ballerina. Ja … Daran habe ich seit Jahren nicht mehr gedacht. Das waren gute Zeiten.«
»Ich denke mal, für Sie war das nichts Besonderes.«
Er lachte. »Ich fürchte, dass ich mich hauptsächlich daran erinnern kann, Chris Delahanty eins auszuwischen, dem Jungen, der die Süßigkeiten gestohlen hatte. Aber erzählen Sie doch mal, was Sie in all den Jahren gemacht haben?«
Ich erzählte ihm in groben Zügen von meinem Leben.
Ein ironisches Lächeln spielte um seine Lippen. »Es ist immer kompliziert, nach Haus zurückzukommen, stimmt’s?«
»Oh Mann, das können Sie laut sagen. Vermissen Sie Washington? Die Aufregung? Die Spannung?«
»Manchmal. Ja, doch. Aber ich habe immer an Winsworth gehangen. Hank sagte mir, Sie wären ein ganz schöner Spürhund.«
»Also wussten Sie schon von mir«, sagte ich.
»Nein. Nur über die Sache mit den Nachforschungen.«
»Hank ist derjenige, der mich in die Sache mit Lauras Tod hineingezogen hat. Als ich mich dann um Annie gekümmert habe, na ja, das war schon schwer. Ihr Vater ist sehr ablehnend, und sie ist nicht sehr entscheidungsfreudig.«
Er stützte den Kopf kurz in die Hände und sah dann wieder auf. »Wie heißen Sie gleich noch mal, Emma? Jetzt, meine ich?«
»Tally. Tally Whyte.«
»Ah, ja. E…Es ist traurig, aber ich habe Aussetzer.«
»Das tut mir leid.« Seine Augen blickten düster, hauptsächlich aus Angst, und seine
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