Leichentanz
Sir James.
»Das glaube ich auch.«
Wir verließen das Büro. Im Flur schüttelte Suko den Kopf. »Ich bin ja nicht prüde oder verwöhnt, aber dieses Thema geht mir schon unter die Haut. Bleibst du denn bei deiner Ghoul-Theorie, John?«
»Ich schließe sie zumindest nicht aus.«
»Dann hoffe ich für uns, daß wir auf eine entsprechende Spur stoßen werden.« Er drückte die Tür zu Glendas Vorzimmer auf. Unsere Sekretärin fuhr herum, als sie uns sah, und ihrem Blick entnahmen wir, daß etwas geschehen war.
»Was ist denn passiert?« fragte Suko.
»Ihr habt Besuch bekommen.«
»Und?«
»Es ist eine Frau. Joanna Leginsa. Sie wartet in eurem Büro.«
»Was will sie denn?«
»Das hat sie mir nicht so genau gesagt. Sie hat etwas von einem großen Gräberfeld gesprochen und einer Person, die aus der Erde gekrochen ist, wobei sie einen blanken Menschenknochen in der Hand gehalten haben soll.«
Suko und ich schauten uns an. Schon wieder war der Begriff Knochen gefallen. Zufall?
Beide wollten wir daran nicht glauben, deshalb sagte ich: »Okay, dann sehen wir uns die Person, wie hieß sie noch gleich, erst einmal an.«
»Leginsa«, erwiderte Glenda. »Joanna Leginsa…«
***
Und genau sie saß auf dem Besucherstuhl wie ein Häufchen Elend, obgleich sie vom Äußeren her einen ziemlich resoluten Eindruck auf uns machte. Sie trug ein stahlgraues Kostüm, darunter eine weiße Bluse, hatte das dunkelblonde Haar etwas auftoupiert und es dann glatt zu beiden Seiten des Gesichts herabgekämmt. Ihre Augen lauerten hinter den Gläsern einer Brille. Sie war nur schwach geschminkt und lächelte etwas schmallippig, als wir uns vorstellten.
Ich deutete auf die leere Tasse. »Möchten Sie noch einen Kaffee, Mrs. Leginsa?«
»Nein, danke, das wäre zuviel des Guten. Ich habe bereits zwei Tassen von diesem ausgezeichneten Getränk genossen.«
»Okay. Können wir sonst etwas für Sie tun?«
»Ja«, sagte sie, wobei ihre Augen blitzten. »Sie können mir zuhören.«
»Deshalb sind wir hier.«
Als wir saßen, holte die Frau tief Luft. Sie gab sich sicher und überlegen, doch es war nur Tünche. Die Ringe unter den Augen konnten wir nicht übersehen, und ihre Hände spielten mit der weißen Handtasche, deren weiches Leder sie knetete. »Sie werden mir wahrscheinlich nicht glauben, was ich erlebt habe, ich schwöre Ihnen jedoch, daß jedes Wort der vollen Wahrheit entspricht.«
»Lassen Sie es auf einen Versuch ankommen«, sagte ich lächelnd.
Dieser Versuch saß. Wir hörten gespannt zu, was uns Mrs. Leginsa zu sagen hatte. Es klang so unwahrscheinlich, daß es schon wieder stimmen konnte, und ich mußte die ganze Zeit über immer an den Knochenfund denken. Es lag einfach auf der Hand, daß wir ihn mit dem Friedhof in Verbindung brachten, denn die Frau ging davon aus, daß sich unter der Erde keine Knochen mehr befanden.
»Wie kommen Sie darauf?« fragte Suko.
»Weil sich einiges verändert hat. Das Gelände ist nicht mehr flach.« Sie zeichnete mit der Hand nach, was sie meinte. Wellenbewegungen, mal oben, dann unten. »So ungefähr, meine Herren. Ich bin öfter auf dem Friedhof gewesen, allerdings habe ich vor meinem letzten Besuch über zwei Monate pausiert, da ich eine Schrothkur hinter mich gebracht habe, um mich anschließend davon in einem Urlaub zu erholen. Jedenfalls hat sich in dieser Zeit sehr viel verändert, was die Beschaffenheit dieses alten Friedhofs betrifft.«
»Sie sahen also diese Gestalt.«
»Ja, Inspektor, ja, die sah ich.« Über ihr Gesicht rann eine Schauer. »Es war furchtbar.«
»Sie war ein Mensch?«
»Schon, aber…« Joanna Leginsa schüttelte den Kopf. »Ich habe nie zuvor einen Menschen gesehen, der lebt und trotzdem nach Verwesung stinkt. Wie eine alte Leiche.«
Wir nickten, und Joanna Leginsa deutete dies als Zeichen, weiterzusprechen. »Es kam noch etwas hinzu. Dieser… dieser Mensch war von einem stinkenden Schleim bedeckt. Ich konnte es deshalb genau sehen, weil das Zeug durch die Öffnungen und Lücken in der Kleidung quoll. Für mich war es mehr als widerlich, und ich muß Ihnen sagen, daß mir einfach die Worte fehlen, dies alles zu beschreiben.« Sie schüttelte sich. »Das kann ich einfach nicht.«
»Natürlich, Mrs. Leginsa, wir verstehen das.«
»Dann glauben Sie mir?«
»Ja.«
»Warum?«
»Hat man Ihnen nicht einen Rat gegeben, daß Sie sich an bestimmte Personen wenden sollen?«
»Ein Kollege von Ihnen.«
»Sehen Sie. Und bei uns sind Sie richtig.«
Ihre Augen
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