Leichentanz
nicht.
Sofort zog er den Schutz wieder nach unten, holte aus dem alten Schrank zwei Tassen und setzte sich an den Tisch, wobei er auf die Platte stierte.
Seine Stirn legte sich in waagerechte Falten. Es geschah immer dann, wenn Crimsdyke nachdachte, und das tat er in diesem Fall. Es ging hier um mehr als nur um den Sonnenstrahl. Es ging um ihre Existenz, um die Zusammenarbeit mit gewissen Leuten, und er befürchtete, daß er diese nicht mehr zufriedenstellen konnte. Das Wasser floß in die mit Kaffeepulver gefüllte Filtertüte, und in die Kanne hinein floß die braune Brühe. Er mochte Kaffee, ebenso wie Maren, der im Flur polterte. Die Tür zur Küche wurde aufgestoßen, und eine hochgewachsene, leicht krumme, aber düstere Gestalt stand auf der Schwelle.
»Es ist kein guter Morgen.«
»Nein, das ist er nicht.«
»Wir sind leer.«
Crimsdyke nickte. Er wußte genau, was Maren damit andeuten wollte und sagte deshalb: »Wir müssen uns einen anderen Ort suchen.«
»Und wo?«
»Ich weiß es noch nicht. Er kann es uns sagen.«
Maren lachte blubbernd, als er sich setzte. »Der Große Boß wird sich da raushalten.«
»Warum? Er ist bisher gut bedient worden.« Crimsdyke stand auf und holte die Kanne. Er brachte auch große Tassen mit, die er füllte.
»Warum sollte er?«
»Wenn wir ihm keinen Nachschub mehr bringen können, sind wir uninteressant geworden.«
Crimsdyke überlegte. »Schön, dann sind wir das eben. Wir können die Stadt verlassen. Friedhöfe gibt es genug.«
Maren grinste. Gelbe, spitze Zähne waren in seinem Mund zu sehen. In den Winkeln hatten sich Tropfen gebildet, die als Schleimfäden auf den Tisch fielen. Ein widerlicher Geruch durchdrang die Küche, aber die beiden Maler nahmen ihn nicht wahr. Sie mochten ihn, denn ohne Leichen und ohne diesen Geruch war auch ihre Existenz gefährdet.
Maren hob die Tasse an und schlürfte den heißen Kaffee. Er schielte dabei nach links, weil er auf einen weiteren Vorschlag seines Artgenossen wartete, aber der Ghoul mit dem Namen Crimsdyke schwieg.
»Warum sagst du nichts?«
Crimsdyke schaute zu, wie Maren die Tasse absetzte. »Mir fällt nichts ein.«
»Wirklich nicht?« Maren leckte Schleim von seinen Lippen.
»Ja.«
»Und am Abend?«
Crimsdyke wußte genau, auf was sein Artgenosse hinauswollte. »Du meinst die Sache auf dem Friedhof?«
»Die meine ich. Man hat dich gesehen.«
Der Ghoul Crimsdyke nickte. »Ich konnte es nicht verhindern. Die Frau stand an unserem Ausgang. Ich kam hoch, und sie sah mich mit dem Knochen in der Hand.«
»Du hättest sie dir holen müssen.«
»Sie war zu schnell.«
»Trotzdem.«
Crimsdyke nickte. »Der Friedhof ist dort leer. Es gibt keinen Nachschub mehr.« In seinen dunklen Augen zeigte sich so etwa wie Bedauern, und er hob auch die Schultern an.
»Dann müssen wir woanders hin. Ein Stück weiter. Da liegen genug Leichen. Wir werden uns die Gänge graben und an die Grabstellen herankommen.« Maren ballte die rechte Hand zur Faust. »Wir zertrümmern die Särge und holen uns den Inhalt. So haben wir es immer gemacht. Ich weiß nicht, was dich stört.«
Crimsdyke überlegte einige Sekunden. »Wir sind aufgefallen, das solltest du wissen.«
»Na und?«
»Man wird uns jagen.«
Maren winkte ab. »Wer denn? Wer ist stark genug, uns vernichten zu können? Wer…?«
»Die Frau wird mit der Polizei sprechen.«
»Dort lacht man sie aus.«
Crimsdyke legte den Kopf schief. »Glaubst du das wirklich? Ich glaube es nicht.«
»Was wird geschehen? Weißt du das auch?«
»Das denke ich.«
»Dann rede.«
Crimsdyke schlürfte den heißen Kaffee. »Die Polizisten werden den Friedhof besuchen, und sie werden ihn genau unter die Lupe nehmen. Sie werden feststellen, daß es zwischen den Gräbern zahlreiche Gänge gibt, und dann werden sie herausfinden, daß es ein Friedhof ohne Gebeine ist, denn die haben wir abgegeben.«
Maren nickte. »Na und?«
»Macht dir das keine Angst?«
»Nein.«
»Weshalb nicht?«
Maren knetete sein Gesicht. Es sah aus, als wollte er sich die Haut dabei stückweise abreißen, und sein Gesicht nahm eine andere Form an.
»Keiner glaubt uns. Die Menschen sind Ignoranten. Wer kennt schon einen Ghoul?«
»Frederick Döring kennt uns.«
Maren lachte so laut, daß Crimsdyke zusammenzuckte. Aus dem Mund des Ghouls sprühten zudem noch kleine Schleimpartikel, die sich auf dem Tisch verteilten. »Der hat es gerade nötig. Er wird sein Maul halten. Er kann und muß uns dankbar sein, denn so
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