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Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Titel: Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph G. Kretschmann
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stand, würde er das Holz anzünden und den Trank zu sich nehmen. Vicus setzte sich neben den Holzstapel und schloss die Augen. Er horchte in sich hinein und wartete.

19. Kapitel
    Anett de Facourt trug einen klangvollen Namen, einen Namen, den sie verfluchte. Einst war ihre Familie eine der einflussreichsten gewesen, aber ihr Großvater war beim König in Ungnade gefallen. Er musste ein standhafter Mann gewesen sein, der sich nicht beugen ließ. Man sagte, er sei im Recht gewesen, aber was nutzte es, im Recht zu sein, wenn der, der im Unrecht ist, der Stärkere ist? Ihr war nichts vom Besitz der Familie geblieben außer ihrem Namen. Sie trug keine noble Kleidung, kein Geschmeide, keine Pelze. Sie trug die gleichen Sachen, die die einfachen Bürger auch trugen. Zwar hatte sie aufgrund ihrer Herkunft das Recht, farbige Kleider zu tragen, doch mangelte es ihr an Geld, solche teuren Sachen zu kaufen.
    Anett de Facourt besaß nur das, was sie am Leibe trug. Sie stand am Grab ihres Vaters und wusste nicht, ob sie diesen bedauern oder verfluchen sollte. Bis vor wenigen Wochen hatte ihr Vater noch für seine Kinder gesorgt. Als Söldner hatte er sich verdungen. Er war dem Heer Vlad Draculeas beigetreten, als dieser Kämpfer suchte, die die Türken aus dem Land vertrieben. Der Weg von Avignon in die Walachei hatte ihr letztes Geld aufgebraucht und das Wenige, das ihr Vater als Sold erhalten hatte, war für die Beerdigung und die Messen schnell ausgegeben.
    Sie war nahezu mittellos. Der Vater war von einem türkischen Pfeil ins Auge getroffen worden. Er war sofort tot gewesen. Sie hatten ihn über dem Rücken seines Pferdes zurückgebracht. Anett war die letzte ihrer Familie. Ihr Bruder war an der Pest gestorben, die Mutter schon bei dessen Geburt. Der Vater war ihr Erzieher gewesen. Er hatte sie alles gelehrt, was sie wusste, alles, was sie konnte. Er hatte sie Englisch gelehrt, Deutsch und Spanisch. Er hatte ihr Lesen und Schreiben beigebracht und sogar das Fechten und den Messerkampf. Er war der Meinung gewesen, eine Frau, gerade eine Frau müsse sich verteidigen können.
    Er hatte recht gehabt. Anett de Facourt wischte sich die Tränen vom Gesicht. Sie weint um ihren Vater, sagten die Leute, aber Anett wusste es besser. Sie weinte aus Wut und aus Furcht. Wut auf den Vater, der sie nicht mehr beschützen konnte und sie mittellos zurückgelassen hatte. Furcht vor dem, was ihr geschehen konnte. Dies waren schlimme Zeiten, in denen sie lebte. Abrupt drehte sie sich um, wendete dem Grab den Rücken zu und schritt vom Friedhof. Sie ging zu der Schenke am Rand des Dorfes und holte den Mantel und die Tasche mit ihren Habseligkeiten, die der Wirt für sie verwahrt hatte und ging aus der Stadt.
    Sie schlug den Weg nach Westen ein. Dort lag Frankreich. Wo sollte sie sonst hin? Dort war ihr Zuhause. Zuhause? Dort gab es nichts für sie, das ihr gehörte. Sie würde dort so arm sein wie hier in der Walachei. Wie sollte sie überhaupt dorthin gelangen? Es war zu Pferd und mit der Kutsche eine Reise von mehreren Wochen. Wie sollte sie es zu Fuß schaffen können? Ohne Geld, ohne Essen? Sie fand darauf keine Antwort. So lief sie immer weiter. Ihr Kleid behinderte sie beim Dahinschreiten, aber dies war nun einmal Frauenkleidung. Andere Frauen kamen damit auch zurande, sie würde das auch schaffen!
    Anett lief einfach immer weiter, ohne auf etwas anderes zu achten als die Straße, auf die sie ihren Fuß setzte. Die Tasche in ihrer Hand schmerzte. Ihre Füße brannten. Die Schuhe, die sie trug, waren nicht zum Wandern gemacht worden. Der üble Geruch riss sie aus ihren trüben Gedanken. Anett hob den Blick. Was sie sah, war der Tod. Sie starrte in das vielfältige, hässliche Gesicht des Todes in all seinen grausamen Erscheinungsarten. Um sie herum erhob sich ein Wald aus Toten. Es mussten Hunderte von Leichen sein, die da aufgespießt am Weg standen. Es stank nach Verwesung und Krähen hackten Stücke aus den verfaulenden Körpern. Anett konnte sich nicht beherrschen. Sie übergab sich, wo sie stand. Alles drehte sich um sie und fast wäre sie in die Knie gegangen.
    Dies hier musste die Rache des Draculea an den Türken sein. Er sollte in seiner Jugend als Geisel zu den Türken gekommen sein und es wurde hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, er sei dort von den Muselmännern vergewaltigt worden. Von Sodomie war die Rede. Das erkläre auch, weshalb er die Türken so sehr hasste, sagten die Leute. Anett glaubte den Erzählungen beim Anblick

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