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Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)

Titel: Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph G. Kretschmann
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Anett griff mit der Linken zu und bekam den Griff des schmalen Schwertes zu fassen. Mit dem Schwert in der Linken und dem Stilett in der Rechten sprang sie hoch und auf den anderen Kerl zu, der wie erstarrt dastand. Bevor er sich fangen konnte hatte Anett ihm die Schwertklinge durch den Hals gestoßen. Ein Blutstrahl schoss hervor. Röchelnd wich das Leben aus dem Mann.
    Keuchend stand Anett da. Ihr Magen rumorte. War es Hunger oder die Aufregung? Sie atmete tief durch, so, wie ihr Vater es sie gelehrt hatte. Sie hatte gerade zwei Männer umgebracht. Nie zuvor hatte sie ihre Waffen im Ernstfall benutzt, nur zur Übung. Es waren erfolgreiche Übungen gewesen. Anett sah sich um. Wo waren diese beiden Mistkerle hergekommen? Sie entzündete einen Ast im Feuer und benutzte ihn als einfache Fackel. Nach ein paar Minuten fand sie die angebundenen Pferde der Männer. Zwei Pferde und ein Packesel, die die Kerle an einen Baum gebunden hatten. Der Esel trug eine vollständige Reiseausstattung, stellte Anett fest. An den Sätteln der Pferde hingen Mäntel und Waffen, eine Axt und eine Armbrust.
    Anett ging zu den Getöteten zurück. Was sollte sie tun? Sie fasste einen Entschluss. Wenn das Schicksal ihr dies aufzwang, dann wollte sie das Beste aus der Situation machen. Es bereitete ihr einige Mühe, die beiden Männer zu entkleiden. Sie fand zwei gut gefüllte Börsen, Waffen und Schmuck bei den beiden. Keiner von ihnen hatte etwas bei sich, das ihr sagen konnte, wen sie da getötet hatte. Anett zog die entkleideten Leichen tiefer in den Wald. In ein paar Tagen, so wusste sie, würde kaum noch etwas von den beiden übrig sein. Die Tiere des Waldes würden gute Totengräber sein.
    Anett wechselte ihre Kleider gegen Hosen und Wams. Zwar waren die Sachen ein wenig zu groß für sie, aber das würde kaum jemandem auffallen. Ihr Kleid und die Schuhe warf sie in das Lagerfeuer. Sie legte den Waffengurt des Kerls an, den sie zuerst erstochen hatte und bestückte ihn mit den Waffen, die sie ausgewählt hatte. Sie bedeckte das Schwert und die Waffen, die sie nicht brauchen konnte, mit Zweigen und Ästen. Die blutbefleckte Kleidung der Toten warf sie ihren eigenen ins Feuer nach. Sie band ihr langes Haar zu einem Knoten und versteckte es unter dem breitkrempigen Hut des zweiten Toten. Niemand, der sie gestern noch gesehen hatte, hätte sie für die Frau gehalten, die gestern am Grab des Vaters geweint hatte.
    Als die Sonne über den Horizont kroch und der Morgen dämmerte, ritt sie auf den Weg zwischen den Gepfählten. Sie führte das zweite Pferd am Zügel. Der Esel war am Sattel des zweiten Pferdes angebunden. Sie hatte einige Goldtaler in der Börse und reichlich Silberstücke. In den Packtaschen hatte sie Proviant und Schnaps gefunden. Sie würde nicht hungern müssen. Die Sonne im Rücken schlug sie den Weg nach Westen ein.

20. Kapitel
    Hassan-i-Sabbah beschattete die Augen mit der Hand. Die Nacht war kurz gewesen. Der alte Mann war es gewohnt, wenig Schlaf zu finden. Seine Aufgabe ließ ihm kaum Zeit zur Muße. So lange schon diente er dem Kampf gegen die Drachen! Selbst seine engsten Vertrauten wussten nicht um sein wahres Alter. Sie hätten ihm auch nicht geglaubt, wenn er versucht hätte, es ihnen verständlich zu machen. Sie wussten nicht, wer er war und nicht, was er war. Er war ihnen auch so schon rätselhaft und unheimlich.
    Hätten sie ihm geglaubt, dass er es gewesen war, der den Drachenorden gegründet hatte? Das war immerhin schon beinahe vier Jahrhunderte her. Und hätten sie ihm geglaubt, dass er ebenso die Organisation der Assassinen begründet hatte? Vor über siebenhundert Jahren? Es war besser, sie im Ungewissen zu lassen. Hassan hatte in seinem langen Leben gelernt, dass die Menschen nicht unbedingt an der Wahrheit interessiert waren, wenn sie eine gute Lüge glauben konnten.
    Der Weg gabelte sich und Hassan zügelte sein Reittier. Halef ritt neben ihm und blickte den alten Mann fragend an. Hassan-i-Sabbah deutete nach Norden. „Dort entlang!“ Er war ein alter Mann, wie wahr! Aber das war er schon seit Jahrhunderten. Er alterte nicht. Er blieb, wie er gewesen war, als das Schicksal ihm diese Bürde auferlegt hatte. Es war nicht seine Wahl gewesen.
    Seither versuchte er dem Fluch zu entkommen, der ihn zur Unsterblichkeit verdammte. Hassan-i-Sabbah dachte mit Wehmut zurück. Er war so müde! So lange schon kämpfte er und ein Ende war nicht abzusehen. Jetzt konnte er vielleicht dieser Qual ein Ende bereiten!

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