Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
Die Schmerzen der Verwandlung waren jedes Mal wie ein kleiner Tod, egal, wie oft er sie schon vollzogen hatte. In seiner menschlichen Gestalt würde er mit Sicherheit nicht so viel Aufsehen erregen wie in der geflügelten.
Er streifte sein Bündel ab und legte seine Kleidung an. So würde man ihn sofort als Araber erkennen, aber er rechnete nicht damit, Einwohnern zu begegnen. Hassan-i-Sabbah schlich sich an das nächststehende Gebäude heran. Er blieb immer in den Schatten und untersuchte Ruine nach Ruine. Er wusste nicht, wie der Eingang zu erkennen war und tappte im Dunkeln herum, in der Hoffnung irgendetwas finden zu können. Aber da waren nur verfallene Gebäude. Nichts deutete darauf hin, wo der Zugang liegen konnte. Hassan schloss die Augen und versuchte, sich genau an das zu erinnern, was der Überlebende gesagt hatte.
Man hatte ihm die Abschrift der Aussage des Soldaten vorgelesen. Gab es da einen Hinweis. Der Mann hatte gesagt, dass sie vor einer alten Schmiede auf ihren Kriegsherrn gewartet hatten. Eine alte Schmiede! Nun, die sollte nicht so schwer zu finden sein! Hassan sah sich in den zerstörten Häusern nach einer Esse und Resten der Züge um und schon kurz darauf hatte er herausgefunden, welche der Ruinen die alte Schmiede war. Hier musste der Zugang sein. Da lag ein Schuttberg und er lag dort noch nicht lang. Hassan sah unter einem der unteren Steine einen nicht ganz vertrockneten Grashalm.
Der konnte dort noch nicht lange liegen, sonst wäre er längst völlig getrocknet. Dort war gegraben worden. Der Alte vom Berge machte sich an die Arbeit. Er hatte nie gescheut, sich die Fingern schmutzig zu machen. Nach kurzer Zeit lag der Zugang frei. Hassan spähte in die Dunkelheit hinunter. Er brauchte eine Lichtquelle, eine Fackel oder ähnliches. Er sah sich um und hatte nach einer kurzen Zeit eine improvisierte Fackel, die er mit seinem Feuerzeug aus Flint und Stahl entzündete. Vorsichtig tastete er sich in den finsteren Gang hinunter. Der Gang lief eine ganze Weile geradeaus, bog ein paarmal ab und führte Hassan in einen gewaltigen Saal mit Hunderten von Säulen. Hassan sah sich um.
Seine Haare sträubten sich, als er den versteinerten Drachen wieder erblickte. Nach so vielen Jahren stand er ihm wieder gegenüber. Und, Allah sei Dank! , war das Ungeheuer noch immer versteinert. Er wollte alles dafür tun, dass es auch so bleiben würde! Hassan-i-Sabbah blickte hoch zum Kopf des Drachen, der mehr als dreißig Fuß über ihm war. Vorsichtig legte er eine Hand auf den kalten Leib aus Stein. Kalt. Eiskalt, kein Hauch von Wärme. Gut, das bedeutete, dass das Monstrum noch in seiner steinernen Starre verharrte. Hassan kannte keinen Fall, in dem einer, der in die Augen einer Gorgo gesehen hatte, aus diesem Bann wieder entkommen war.
Aber das waren Menschen oder Tiere gewesen! Was war mit dem Drachen? Im Drachenorden wurden sie damals gut über alles unterrichtet, was man über den siebenteiligen Gott wusste und ihnen wurde gesagt, dass Blut den Drachen beruhigte und ihn wecken konnte. War das jemals bewiesen worden? Woher kam diese Annahme? Hassan hatte zweimal gegen den Drachen gekämpft. Beim ersten Kampf war er dem Drachen in seiner Anderweltgestalt begegnet und er hatte sich nur mit knapper Not in Sicherheit bringen können. Beim zweiten Aufeinandertreffen geschah es in seiner menschlichen Form. Er hatte sich in den Besitz des Gorgonenkopfes gebracht und die Macht des Drachen gebrochen.
Dann hätte der Orden den Drachen zu Staub zermalmen müssen, im wahrsten Sinne des Wortes. Er, Hassan-i-Sabbah, hatte damals auf den Alamut zurückkehren müssen, der von turkmenischen Stämmen angegriffen worden war. Vlad der Erste hatte die Aufgabe übernommen. Sie hatten beschlossen, den Drachen mit schweren Eisenhämmern in Stücke zu zerschlagen, die Stücke in einem Steinbrecher weiter zu zerteilen und sie dann zu mahlen, bis nur noch Staub übrig war. Den Staub wollten sie in kleine Säcke füllen, die dann vom Orden in die entlegensten Gegenden der Welt gebracht werden sollten, wo man ihren Inhalt verstreuen würde. Doch Vlad war umgekommen, bevor er sich ans Werk machen konnte und die Oberen des Ordens hatten seinen, Hassans, Beschluss aufgehoben und ihn aus dem Orden ausgeschlossen.
Sie brachten den Drachen in ein geheimes Versteck, statt ihn endgültig zu beseitigen. Er hatte von den Geschehnissen erst erfahren, als es längst zu spät gewesen war. In all den Jahren, die dann folgten, hatte er versucht,
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