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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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auch andere Illustrierte gelesen oder uns die Bilder angeschaut. Einmal war da ein Foto vom Mars. So eine rötliche Wüste. Am unteren Rand sah man den Fuß des Raumschiffs. Der war bestimmt aus Versehen drauf gekommen, so wie Vaters Daumen, als er beim Gartenfest geknipst hat.«
    »War das die Viking?«
    »Was?«
    Laukkanen hatte den Faden verloren.
    »Die Viking-Sonde«, präzisierte Mikael. »Die war irgendwann in den Siebzigern auf dem Mars.«
    »Ein Raumschiff?«
    »Ja. Aber es war keiner drin. Unbemannt.«
    Laukkanen sah in die Luft und vergaß, zu kauen. Auch Mikael fühlte sich irgendwie verdattert. Ein unbemanntes Fahrzeug im leeren Weltraum, auf einer fremden Sandkugel, eine rot glühende Wüste, minimale Atmosphäre.
    »Ist das wahr«, murmelte Laukkanen, »so wahr wie das hier?«
    Diesmal übernahm der Kopf die Aufgabe der Gabel, zog vorsichtig einen Kreis.
    »Ja, es ist wahr«, sagte Mikael. Er erinnerte sich plötzlich an einen Bekannten aus seiner Jugend, dem er vor etwa einem Jahr begegnet war und der ihm erzählt hatte, er habe an ihrer alten Schule den Religionslehrer vertreten. Versuch bloß mal, diesen IRC -Kids von heute zu erklären, dass Jesus wirklich und wahrhaftig auf dem Wasser gegangen ist.
    Laukkanen nickte zweimal, ganz langsam, ließ die neuen Grenzen der Wirklichkeit einsinken, aß dann weiter.
    Mikael betrachtete das Licht. Es fiel durch das schmutzige Fenster und ließ die Soßenflecke auf dem Tisch glänzen. Seine Geschwindigkeit war eine feste Größe, wurde in der Schule gelehrt, also musste es stimmen. Es war dasselbe Licht, hier, auf dem Mars, auf den Ozeanwellen und an einem Sommertag beim Gartenfest, als Laukkanens schwer atmender Vater versuchte, lachende Kinder im zitternden Viereck der Kamera einzufangen.
    »War es gut?«, fragte Mikael, als Laukkanen sich die Milch von der Oberlippe wischte.
    »Ich schmecke nichts«, antwortete Laukkanen. »Ich habe seit meiner Kindheit nichts mehr geschmeckt.«

14
    »Schmeckst du es?«, hatte Saana vor langer Zeit in einem Restaurant in Havanna gefragt, mit gesenkter Stimme, obwohl außer ihnen niemand Finnisch verstand.
    Saanas Haare waren damals rot gewesen, an den Wurzeln blond. Das sah man nur mittags, wenn die Sonne mitten am Himmel stand, so hoch, dass man nicht mehr zu ihr aufblickte.
    Sie hatten schon in Santa Clara genug von dem schwarzen Bohneneintopf gehabt und zwei Tage nach ihrer Ankunft in Havanna ein für Ausländer reserviertes vornehmes Restaurant aufgesucht, dessen Kellner Fliege trugen und den vorbeigehenden Frauen diskreter nachstarrten als andere.
    »Was?«, fragte Mikael.
    »Die Zwiebelsuppe ist mit Rum gekocht.«
    »Nein. Das kann nicht sein«, antwortete Mikael. Beim letzten Wort erschien ihm die Vorstellung gar nicht mehr so abwegig.
    »Dann eben mit Rum abgeschmeckt.«
    Sie hatten am Abend zuvor in irgendeinem Lokal in der Innenstadt drei hochprozentige Drinks getrunken. Mikael war danach fröhlich und aufgekratzt gewesen, aber Saana hatte sich vor dem Hotel übergeben und in ihrer Trunkenheit geschworen, nie wieder Rum zu sich zu nehmen. Das ist wohl ein Zeichen des Erwachsenwerdens, hatte Mikael gedacht. Man schwört nicht, nie mehr zu saufen, sondern drückt sich präziser aus. Nie mehr Rum.
    Die Zeichen des Erwachsenwerdens waren ein wesentlicherTeil dieser Reise. Als solche hatte Mikael eine Reihe von Vorfällen gedeutet, ohne zu wissen, was sie in Wahrheit prophezeiten.
    Als Saana einigermaßen sicher war, dass sie nichts mehr im Magen hatte, was sie von sich geben musste, waren sie schnell, auf ihre Schuhspitzen starrend, am Hotelportier vorbeigehuscht. Doch damit waren die Probleme noch nicht erschöpft, denn ein Stromausfall brachte den Aufzug irgendwo zwischen dem fünften und sechsten Stock zum Stillstand. Das passierte andauernd, und das Hotel hatte keine Notbeleuchtung. An zwei Abenden hatten sie das Ritual im Hotelfoyer verfolgt. Das Licht war erloschen, der tiefen Schwärze nach zu urteilen nicht nur im Hotel, sondern im ganzen Stadtteil. Der Strahl der Taschenlampen fuhr über Decken und Wände, als das Personal ausschwärmte, um auf einer Etage nach der anderen an die Aufzugtür zu klopfen.
    Mikael hatte befürchtet, in der engen Kabine bei völliger Dunkelheit in Panik zu geraten, doch er blieb ganz ruhig. Das Rauschen des Rums in den Ohren, Saanas Hand in seiner. Er hatte die Augen offen gehalten, obwohl er nur verschiedenfarbige Punkte sah, die fransenartige Muster bildeten. Als hätte sich

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