Leichentücher: Psychothriller (German Edition)
dennKollegen, Freunde und Verwandte deuteten die Krankheitssymptome als Boshaftigkeit, hielten die von Wahnvorstellungen verursachten Anschuldigungen für Infamie.
Die Pfleger wussten, dass Geisteskrankheiten sich wie Parasiten verhielten, die ihren Wirt möglichst lange funktionsfähig halten wollten. Und sie wussten, dass Irmas Schicksal jeden von ihnen ereilen konnte, wurde einem der Boden unter den Füßen nur lange genug weggezogen.
Als Mikael nach einer Morgenbesprechung wieder einmal die Tageszeitung las, kam Alli zu ihm und blieb neben ihm stehen, den Oberkörper zur Seite gebeugt; es war ihr anzusehen, dass sie etwas wollte.
»Entschuldigung, Herr Pfleger«, sagte sie, als Mikael nicht reagierte. »Darf ich Sie stören?«
Die Müdigkeit hinderte Mikael daran, den Blick bis zu Allis Augen zu heben. Er starrte auf ihre kleinen runzligen Hände. Dachte daran, wie sie sich um den Griff der Laubsichel schlossen, nachdem alle Vorbereitungen für das Fest getroffen waren. An das viele Blut unter den Augen der Weihnachtsengel.
»Aber sicher«, antwortete er.
»Ich bräuchte Bettwäsche aus der Wäschekammer.«
»Natürlich«, sagte Mikael, faltete träge die Zeitung zusammen und stand auf.
Er schloss die Tür zur Wäschekammer auf, knipste das Licht an und wartete an der Tür, während Alli die Kissenbezüge in Augenschein nahm. Das würde eine Weile dauern, denn Allis geheime Auswahlkriterien waren strikt.
Ulla, die Putzfrau, kam mit ihrem Wagen den Flur entlang. Ihr hellblauer Kittel hatte feuchte Flecken, und der Müllsack hing an einem Ende aus der Halterung. Ulla war nicht besonders penibel, aber effektiv. Sie erledigte die Putzarbeit im Eiltempo, damit sie möglichst früh ins Stationszimmer gehen und im Internet surfen konnte.
»Mach Platz, oder du kommst unter die Räder«, sagte sie und beschleunigte ihre Schritte.
Mikael lachte auf und schob die Tür zur Wäschekammer zu, damit der Putzkarren an ihm vorbeipasste. Ulla bedankte sich und flitzte weiter. Da spürte Mikael, wie die Tür, an die er sich lehnte, ruckelte. Die Bewegung war schwach, aber dennoch deutlich spürbar, panisch. Er drehte sich um und zog die Tür auf.
Allis Gesicht war fast so weiß wie der Bezug, den sie sich an die Brust drückte. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
»Nicht zumachen …«, jammerte sie mit schriller Stimme.
»Entschuldigung, ich musste Ulla vorbeilassen«, sagte Mikael und öffnete die Tür so weit wie möglich. Er wollte auf keinen Fall zu sehen bekommen, was sich hinter Allis höflicher Fassade verbarg.
»Die Tür darf nie zugemacht werden, weil diese Frau hier ist …«
»Es tut mir wirklich leid«, entschuldigte Mikael sich noch einmal. »Welche Frau?«
»Die schreckliche Frau«, sagte Alli und schlüpfte unter seinen Armen hindurch.
Auf dem Boden der Wäschekammer lagen drei Kissenbezüge. Mikael faltete sie zusammen und legte sie in ihr Fach zurück.
»Hat Alli eigentlich schon mal von einer schrecklichen Frau gesprochen?«, fragte Mikael in der Kaffeepause, als der Gesprächsstoff versiegt war.
Autio lachte auf. »Ja, klar von Maila spricht sie immer wieder mal.«
Maila schlug ihm scherzhaft auf den Arm.
»Das ist eine von diesen Gruselgeschichten«, sagte Stefu verächtlich. »Finne hat den anderen mit seinem verdammten Gefasel Angst eingejagt.«
»Mit was für einem Gefasel?«, fragte Mikael und begriff imselben Moment, dass man bestimmt von ihm erwartete, darüber im Bilde zu sein, was sein Patient so alles von sich gab.
»Seine Göttin«, sagte Maila und pustete in ihre Teetasse. »Wisst ihr, im Grunde ist Finne ein romantischer alter Gentleman. Er sagt, seine Göttin besucht ihn hier.«
»Gentleman, pah«, schnaubte Stefu. »Ein Kindermörder ist er.«
Maila äußerte sich nicht dazu, sah Stefu nicht einmal an. Sie hob die Tasse an den Mund und trank, obwohl der Tee bestimmt immer noch zu heiß war.
»Ach komm, Stefu«, sagte Jukala vorsichtig. »Der Mann hat den Krieg mitgemacht.«
»Was denn für einen Krieg?« Stefu lachte höhnisch. »Der ist doch verschwunden, als es richtig rund ging, passenderweise genau dann, als er alt genug war, an die Front geschickt zu werden. Schau in seiner Akte nach. Der hat sich irgendwo in den Wäldern versteckt.«
»Verlorene Landstriche zurück an uns«, sagte Autio spöttisch und sah Mikael an. »Stefu ist bei der freiwilligen Landesverteidigung aktiv. Ein Haufen Kriegsfetischisten, die sich noch schneller entladen als ihre Waffen.«
»Mach
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