Leichentücher: Psychothriller (German Edition)
dich ruhig lustig, Autio. Ohne Freiwillige und ohne die Leute, die nach dem Krieg Waffen versteckt haben, hätte es schon ein paar Revolutionen gegeben.«
»Aber den Krieg hat Finnland provoziert«, antwortete Autio ruhig und genüsslich, denn er wusste, dass seine Bemerkung für Zoff sorgen würde.
»Wie bitte?«, fragte Stefu. Seine Empörung wirkte aufgesetzt und routiniert. Im Pausenraum wurde nicht gestritten, um Dinge zu klären, sondern zum Zeitvertreib.
»Wir haben mit den Nazis fraternisiert«, sagte Autio, wieder vollkommen ruhig.
Stefu widersprach heftig. Auf seinen Wangen erschienen rote Flecken.
»Hängt davon ab, wie man die Geschichtsbücher liest. Warst du damals etwa Augenzeuge?«, stichelte Autio weiter. Schließlich hatte Stefu die Nase voll. Er stand auf, knallte seine Kaffeetasse auf die Spüle und ging.
Nur Autio wagte zu lachen. Alle anderen fürchteten die Auseinandersetzung oder hatten keine Lust, Partei zu ergreifen.
»Wir sollten uns über die jüngere Geschichte einig werden«, sagte Autio und trank seinen Kaffee aus, »damit wir den Patienten keine widersprüchlichen Signale geben. Die neue Chefärztin könnte ja ein Seminar für das Personal organisieren. ›Die jüngere Geschichte Finnlands – was zum Teufel ist wirklich passiert?‹«
Die Bemerkung wurde als Schlusswort der peinlichen Kaffeepause verstanden. Mikael bot sich an, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen.
»Nimm dir kein Beispiel an mir«, flüsterte Autio ihm zu, als die anderen gegangen waren. »Mir wagt Stefu nichts zu tun, aber Helminen ist er auf dem Parkplatz schon mal an die Gurgel gegangen. Jokela hat ihn deshalb verwarnt.«
Mikael dankte Autio für den Rat, während er die Spülmaschine einräumte und Spülmittel nachfüllte. Autio blieb an der Schwelle stehen, trat unbehaglich von einem Bein auf das andere.
»Du solltest Finne einschärfen, dass er die anderen Patienten mit seinen Geschichten verschont.«
»Okay.«
»Ich weiß, dass es schwer ist, Kontakt zu ihm zu bekommen, aber …«
Es schien Autio peinlich zu sein, dass er als Vorgesetzter diese Anweisung geben musste.
»Ich rede mit ihm.«
»Gut«, sagte Autio abschließend und ging pfeifend davon. Mikael ließ die Spülmaschine in der leeren Küche brummen und schloss die Tür ab. Schnurstracks ging er zu Finnes Zimmer.Ein Blick durch das Türfenster zeigte, dass keine Veränderung eingetreten war.
Mikael öffnete die Tür und trat ein.
»In einer halben Stunde gibt es Essen«, sagte er. Im Zimmer stank es schlimmer als sonst, obwohl das Waschritual ganz normal gelaufen war. Er trotzte dem Geruch und zog sich den Stuhl ans Bett.
»Mir ist zu Ohren gekommen«, sagte er leise, »dass Sie den Patientinnen schaurige Geschichten erzählen.«
Finne blinzelte zweimal. Zuerst schnell, dann langsam, wie eine Echse in der Sonne.
»Kommen Sie damit doch zu mir. Sie müssen auf die Krankheit der anderen Patienten Rücksicht nehmen. Sie sind doch selbst krank, auch wenn Sie sich glauben …«
Mikael ließ den Satz unvollendet. Er dachte an Stefu und Laukkanen, daran, wie sehr Stefu seinem Patienten an die Nieren gehen konnte. Das war beneidenswert. Er, Mikael, dagegen sprach mit einer Steinsäule, bettelte um Antwort wie ein kleines Kind.
Er stand auf und ging zur Tür.
»Hören Sie auf, den Frauen Angst einzujagen«, sagte er. »Essen in einer halben Stunde.«
Der Geruch des Zimmers hing noch in seiner Kleidung, als er sich im Aufenthaltsraum auf das Fensterbrett stützte und nach draußen blickte, wo eine einsame Gestalt mit nervösen Schritten über den Hof hastete, so dicht am Zaun, dass die Schultern fast den Maschendraht streiften. Es dauerte lange, bis er begriff, dass es Aulis war. Am Ende des Hofs machte der Mann kehrt und kam zum Klinikgebäude zurück. In aller Regel genügte ihm eine Runde, denn die Küchenpflichten warteten und die Uhr tickte.
Aulis blickte auf und musterte die Fenster der Station. Mikael wich zurück.
17
Der Mann konnte nicht sprechen, erinnerte sich aber an die furchtsamen Frauen unter der schirmlosen Lampe.
Sie hatten mitten im Zimmer gestanden, beieinander Schutz gesucht. Fünf alles in allem, zwei von ihnen sahen sehr jung aus. Die eine der jüngeren weinte lautlos. Die andere blickte starr auf einen Punkt hinter den Männern, hatte beschlossen, durchzuhalten, komme, was wolle.
»Schön, oder?«
Die Offiziere schwankten, streichelten den Frauen über die Haare und zeigten auf ihre Brüste, betonten
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