Leichentücher: Psychothriller (German Edition)
und kurzem Schnauben.
Vor dem Abendessen entdeckte Mikael Finne im Aufenthaltsraum, wo er Laukkanen gegenübersaß. Mikael war gerade auf dem Weg zum Stationszimmer, um die Tabletten für den Abend abzuzählen. Er nahm Finnes konzentrierte Miene und den auf Laukkanens Schläfe gehefteten Blick wahr und hörte, dass Finne ohne Unterlass redete.
Mikael blieb stehen. Finne kam sonst nie in den Aufenthaltsraum, um zu plaudern … Mikael wagte sich nicht näher heran, denn seine Anwesenheit hätte sofort eine Unterbrechung bedeutet.
Laukkanen lehnte sich nach hinten, wich vor Finne zurück. Er machte den Anschein, als würde er jeden Moment aufspringen wollen.
Vorsichtig zog Mikael seinen Schlüssel aus der Tasche und schloss die Tür des Stationszimmers auf, als hätte er nichts Auffälliges bemerkt. Er setzte sich an den Computer und beobachtete das Gespräch über den Monitor hinweg, versuchte, von den Lippen abzulesen wie sonst die Patienten, die die Pfleger bei der Übergabe beobachteten.
Maila hatte gesagt, Finnes Gerede würde den anderen Patienten Angst machen. Mikael hätte sich einmischen, beruhigend auf Finne einwirken müssen, doch irgendetwas hatte ihn davon abgehalten, die Situation zu zerstören. Die Schatten der beiden Männer vermengten sich auf dem Boden des Aufenthaltsraums wie zum Schatten eines seltsamen erstarrten Tiers.
Mikael zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Im Aufenthaltsraum war das Klingeln nur gedämpft zu hören, doch es ließ Finne schlagartig verstummen. Er wich zurück, als wäreein unsichtbares Band zwischen ihm und Laukkanen zerrissen, stand auf und ging gemessenen Schritts davon. Laukkanen blieb sitzen, wippte vor und zurück, versuchte fernzusehen, warf verstohlene Blicke auf die anderen Patienten, als wollte er sich dort einen Hinweis holen, wie man in aller Ruhe auf den Bildschirm sah.
»Geht mal jemand dran?«, rief Jukala aus dem Frauenflügel.
Mikael löste den Blick von Laukkanen und nahm den Hörer ab.
Die Verwaltungsdirektorin war am Apparat. Der übliche Mist über das Durcheinander in den Dienstplänen. Mikael hörte nur mit halber Aufmerksamkeit zu. Als er wieder in den Aufenthaltsraum sah, war Laukkanens Platz leer.
Nach dem Telefonat ging Mikael an Finnes Tür und spähte ins Zimmer. Der Alte saß auf dem Bett, immer noch im Trainingsanzug, und stierte vor sich hin. Sein Kopf zitterte, die Finger lagen verkrampft auf den Schenkeln.
Mikael öffnete die Tür absichtlich geräuschvoll. Finnes Schultern zuckten, doch er blickte nicht auf.
»Worüber haben Sie mit Laukkanen gesprochen?«, fragte Mikael.
Finne seufzte schwer.
»Wir haben uns versöhnt.«
Seine Finger strichen durch die Luft, als ob sie nach etwas tasteten. Die Bewegung hatte etwas unangenehm Mechanisches, sie erinnerte an ein leidendes Insekt.
»Dann ist es ja gut«, sagte Mikael und ließ die Tür zufallen.
Die Medikamente wurden an diesem Abend früher ausgeteilt als sonst, denn wer am Wettlauf teilgenommen hatte, war erschöpft und wollte schlafen gehen.
Mikael beobachtete Laukkanen, der seine drei rosa Arzneibecher mit gewohnter Schnelligkeit leerte und zum Abendessen ging. Sein Gesicht war ausdruckslos, leer …
»Kannst du das Besteck zählen?«, fragte Jukala nach dem Abendessen.
»Ja«, sagte Mikael zerstreut. Er war in Gedanken bei Laukkanens Gesichtsausdruck.
Erst am Ende der Schicht, als er den Nachtpflegern den Übergabebericht vorlas, begriff er, was fehlte.
Laukkanens kindliche Freude war verschwunden. Er hatte seinen Glauben an die Zukunft verloren.
30
Am Abend fuhr Mikael auf dem Heimweg beim Chinesen vorbei.
Später saßen sie schweigend vor dem Fernseher und aßen. Nur einmal klagte Saana, ihr Essen schmecke nach nichts. Nachdem er das Einweggeschirr in den Mülleimer gestopft hatte, setzte Mikael sich neben Saana und legte den Arm um sie. Saana ließ es wortlos geschehen.
»In dieser Wohnung stinkt es die ganze Zeit«, sagte sie dumpf.
»Was meinst du?«
»Merkst du nichts? Als ich heute den Müll runtergebracht habe und zurückkam, habe ich es gleich gerochen. Kaum ist man fünf Minuten weg, merkt man es schon. Wahrscheinlich fange ich schon an zu verfaulen.«
Mikael drückte Saana fester an sich, obwohl ihm selbst Tränen in die Augen schossen. »Tu mir das nicht an«, flüsterte er.
Zum Glück gehorchte Saana.
In der Nacht lag Mikael auf dem Rücken im Bett und fand keinen Schlaf. Unter der Woche war es abends still auf der Straße, das monotone
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