Leichentücher: Psychothriller (German Edition)
registrierte.
»Heilige Scheiße, was für eine Affenbande«, flüsterte Autio und rief gleich darauf den Patienten zu: »Los, Jungs, nun zeigt mal, was ihr draufhabt!«
Laukkanen grinste Autio breit an.
»Jetzt kann er hier mal Dampf ablassen statt auf dem Klo«, sagte Autio leise. »Ohne seine Pornoheftchen.«
»Er kriegt doch gar keine Pornos«, antwortete Mikael, ohne Laukkanen aus den Augen zu lassen. Aus irgendeinem Grund war ihm Autio in diesem Moment unerträglich.
»Nein, nein, vollkommen richtig. Er zeichnet sie selbst. Man kann sich allerdings wundern, dass er beim Anblick seiner Strichmännchen einen hochkriegt.«
Mikael lachte freudlos.
»Ganz im Ernst«, fuhr Autio fort. »Du kannst froh sein, dass dein Patient so intelligent bekloppt ist. Hast du gehört, was Jokela gesagt hat, als er nach Laukkanens Einlieferung einen Intelligenztest mit ihm gemacht hat?«
»Nein.«
»›Ach du meine Kacke.‹«
Mikael versuchte, das Lachen zu unterdrücken, nicht wegen Autio, sondern weil er selbst es nicht hören wollte. Andererseits, dachte er, war es vielleicht nur menschlich, die Dümmsten in der Herde auszulachen. Eine Reaktion, die unwillkürlich geschah und gleichzeitig die Herde zusammenhielt, und zwar im Kindergarten genauso wie im Altersheim.
Mikael beobachtete Laukkanens kindisches Gehopse und verspürte plötzlich Hass. Am liebsten hätte er ihn getreten, so lange, bis er weinte. Er erinnerte sich, wie sie sich als Kindergemeinsam gefreut hatten, wenn ein hilfloser Außenseiter schließlich zusammenbrach. Er ließ dem Lachen freien Lauf.
»Ehrlich. Parkkonen hat es mir erzählt«, sagte Autio grinsend. »Wie blöd muss der Kerl sein, wenn schon ein Psychiater die Nerven verliert?«
In diesem Moment sprang Laukkanen in die Luft und gab einen lauten Juchzer von sich. Die Läufer fingen an zu drängeln, obwohl Maila sich alle Mühe gab, sie mit einem Besenstiel hinter der Startlinie zu halten. Laukkanens Lächeln war kindlich, offen, ein Lächeln, das man später, wenn das Leben erst einmal anfing, seine Trumpfkarten auszuspielen, nicht mehr zustande brachte.
Laukkanen drehte sich zu Mikael und Autio um und streckte die Daumen in die Luft.
Mikael erwiderte die Geste, trotz seiner zwiespältigen Gefühle. Er musterte den Mann (nein, den Jungen, er war ja noch ein Junge), dessen Haar im kalten Herbstwind flatterte. Hinter ihm erstreckte sich der klare Himmel, dessen Grenzen selbst die klügsten Köpfe an den Universitäten der Welt bisher nicht gefunden hatten. Laukkanen schien sich große Hoffnungen zu machen. Er hatte keine Ahnung, dass er den Rest seines Lebens in dieser Klinik verbringen würde, wo die Pfleger einander ablösten und Stefu seine Therapiegespräche abhielt. Er wusste nicht, dass er nie heiraten, nie etwas anderes als seine Strichmännchen vögeln, nie in dem Wissen erwachen würde, von Menschen umgeben zu sein, die ihn liebten.
Mikael erschrak, als er merkte, dass ihm Tränen in die Augen stiegen.
»Es könnte langsam losgehen«, sagte er und trat zwei Schritte zurück, damit Autio seine Tränen nicht sah. Er konzentierte sich auf Finne. Der rührte sein Mitleid nicht an. Dieser Kindermörder.
Mikael sah den Alten am Rand der Gruppe, eine gelassene Gestalt mit straffen Schultern. Man hätte ihn beinahe für einenkurz vor der Pensionierung stehenden Pfleger halten können. Finne trug einen blauschwarzen Trainingsanzug aus dem Kleidervorrat der Station, der ihm an Armen und Beinen eine Spur zu kurz war. Sein Gesicht war ausdruckslos, sein Blick wanderte langsam über den Hof. Sekundenlang überlegte Mikael, ob Finne seine Flucht plante und in diesem Moment die Höhe des Zauns abmaß. Für einen Achtzigjährigen wäre die Herausforderung übermächtig, doch in Finnes Fall schien alles möglich. Mikael malte sich aus, wie sich die langen Finger in den Maschendraht krallten, den knochigen Körper zum leeren Himmel hochzogen, und niemand einschritt.
Endlich konnte Maila das Startzeichen geben.
Auf die Plätze, fertig, los.
Unsicher machten die Läufer die ersten Schritte, und einen Augenblick lang schien es, als würden sie alle gegenseitig über ihre Beine stolpern. Laukkanen war mit Abstand der Zielstrebigste, er drängte sich zwischen den anderen Patienten hindurch und rannte vornübergebeugt, den Kopf ein wenig nach links gelegt. Mikael hörte Autio hinter sich kichern. Das Gekicher wirkte ansteckend wie Weinen bei einer Beerdigung.
Finne hatte die langsameren Läufer
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